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Schwarz-weiß-grau. Ben Becker als Salzburger Jedermann.

© Margarita Broich/Insel Verlag

Rassismus in der Sprache: Schwarz ist nicht nur ein Wort

Von Köln bis Hollywood: Das Denken beginnt mit der Sprache. Ein Essay über den schwierigen Umgang mit Stereotypen.

Der Teufel ist schwarz in der Tradition der Weißen. Zwar gibt es in der Kunstgeschichte bisweilen schwarze Madonnen, aber die Engel, die Boten des Guten, sind fast ausnahmslos weiß. Schwarz oder dunkel behaart ist nur der gefallene Engel, ist Luzifer. Allenfalls Fußballfans reden auch von den „roten Teufeln“, so heißen Belgiens Nationalspieler oder die Pfälzer in den roten Trikots des 1. FC Kaiserslautern. Rotglühend mögen auch Teile der christlichen Hölle sein, aber der tiefste Höllenschlund liegt in Dantes „Göttlicher Komödie“ weit unter dem Gefrierpunkt. Hier herrscht der dunkle Luzifer – doch gibt es dort schwarzes Eis?

„Black is beautiful“, der alte Slogan der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung, wird heute in Deutschland noch in der Werbung der Jungen Union benutzt, und in ihrem Onlineshop für Merchandising-Artikel bietet die Nachwuchsorganisation der CDU als Erstes, das ist kein Witz, schwarze Kondome an. Ansonsten gilt Schwarz bei uns nicht als Zeichen überschäumender Lebensfreude, nur in südlicheren Kulturen ist nicht Schwarz, sondern Weiß auch eine Farbe der Trauer.

Andererseits soll das Dunkle im Deutschen noch immer die Gefahr und den Abgrund bedeuten. Einen Tag vorm Erscheinen der kritisch kommentierten Neuausgabe von Hitlers „Mein Kampf“ illustrierte die „Süddeutsche Zeitung“ eine Polemik gegen die Edition allein durch einen Schwarzraum, darin in Negativschrift der Aufsatztitel „Das absolut Böse“. Gleich darauf brachte die „SZ“ für mehrere Beiträge über „sexuelle Belästigung“, die an die Ereignisse der Kölner Silvesternacht anknüpften, als Sammellogo auf ihrer Titelseite die Zeichnung eines weißen Frauenunterleibs: mit einer schwarzen Hand im Schritt.

Das hat mit der Entschuldigung, es sei ja nur eine kleine grafische Provokation gewesen, für etwas weniger Aufregung gesorgt als das kurz zuvor im „Focus“ publizierte Cover-Foto einer nackten blonden weißen Frau, deren Haut von schwarzen Handabdrücken befleckt erscheint, mit der Schlagzeile „Frauen klagen an“. Kritiker/-innen fragten sich: Färben die Hände von Dunkelhäutigen ab, oder ist nicht die Fantasie der Blattmacher hier das Schmierige?

Was die Leute von „Focus“ kaum wussten: Vor 40 Jahren hatte Peter Zadek, neben Peter Brook der bedeutendste Shakespeare-Regisseur, mit seinem Hamburger „Othello“ ebendiesen Effekt benutzt. Als der kohlschwarz angemalte, mit einer grotesken King-Kong-Perücke geschmückte Othello-Darsteller Ulrich Wildgruber am Ende der erst skandalisierten, später umjubelt in die Theatergeschichte eingegangenen Inszenierung seine vermeintlich untreue Frau Desdemona im Eifersuchtswahn umarmt, küsst, würgt und tötet, passierte das: Auf den Körper der entblößten Eva Mattes färbte Wildgrubers dunkle Theaterschminke ab, die weiße Desdemona nahm so die Farbe ihres blindmörderischen „schwarzen“ Geliebten an, die angeblichen Gegensätze vermischten und vereinten sich, wenigstens im Tod. Dieses Bild blieb. Denn Zadeks Inszenierung spielte als wüst burleske „Schmieren“-Tragödie mit den rassistischen Klischees der weißen Mehrheitsgesellschaft. Sie bediente sie nicht, sie bediente sich ihrer. Das war die Provokation und ist der Unterschied zur Bestätigung jener Klischees auf einem spekulativen Magazintitel.

In New York wird der Othello nur noch mit dunkelhäutigen Sängern besetzt

Am 28. Januar sollte nun wieder ein „Othello“ Premiere haben: im Pariser Théâtre National de l’Odéon. Doch der Regisseur und Odéon-Intendant Luc Bondy ist Ende November gestorben. Luc Bondys Othello-Darsteller wäre, wie einst bei Zadek, ein weißer Schauspieler gewesen. Shakespeare überschrieb sein grandioses Drama übrigens nicht einfach mit dem Namen der Titelfigur, sondern nannte es „The Tragedy of Othello, the Moor of Venice“. Der „Mohr von Venedig“ aber ist längst auch zum Titelhelden der anhaltenden „Blackfacing“-Posse geworden. So wie es bei „Pipi Langstrumpf“ keinen „Negerkönig“ mehr geben soll, so will die politische Korrektheit keine schwarzen Weißen mehr auf der Bühne. Die New Yorker Metropolitan Opera plant, Verdis „Otello“ nur noch mit dunkelhäutigen Sängern zu besetzen, und bei einer „Othello“-Inszenierung in Bern ist jüngst ein Schauspieler aus Togo eingesprungen, der den Text zwar teilweise französisch sprach, doch galt das Kuriosum als gut korrekte Lösung.

Für den Schweizer Luc Bondy, so hat er kurz vor seinem Tod im Gespräch mit der „Neuen Zürcher Zeitung“ gesagt, war diese Fixierung auf die Hautfarbe eines Schauspielers ein „umgekehrter Rassismus“. Denn natürlich geht es auch sonst auf der Bühne nicht um irgendeine Identität zwischen Rolle und Spieler, ein Darsteller des Shylock muss kein Jude sein, wer einen Mörder spielt kein Krimineller, und den Hamlet haben von Sarah Bernhardt Ende des 19. Jahrhunderts bis zu Angela Winkler in Berlin bei Zadek häufig auch Frauen verkörpert.

Die Polizei in Köln wirkte nach der Silvesternacht sprachlos

Nur das Medium Film fußt auf realistisch-naturalistischeren Erwartungen. Folglich ist in dem am 2. Februar in den USA anlaufenden zehnteiligen TV-Filmepos über den einst spektakulären Mordprozess gegen Ex-Footballstar O. J. Simpson die Hauptfigur mit dem farbigen Darsteller Cuba Gooding besetzt. Es gehe dabei, sagte der (nicht verwandte) Produzent Brad Simpson der „New York Times“, nicht um die nie ganz geklärte Frage, ob der dunkelhäutige Star auch der Mörder war: „The trial was about race.“ Rassismus, vor allem der überwiegend weißen Polizei gegenüber Afroamerikanern, ist in den USA die aktuelle Folie.

Angst vor jeder aktuellen Folie hatte die Kölner Polizei nach den sexistischen Gewaltexzessen der Silvesternacht. Vieles ist da noch immer unklar, doch offenbar bestand eine Anfangshemmung, die in aller Öffentlichkeit aufgetretenen jungen Männer als Tatverdächtige näher zu kennzeichnen. Die Polizei der viertgrößten deutschen Stadt wirkte buchstäblich sprachlos – dies ist ein in der deutschen Polizeigeschichte bisher einzigartiger Fall. Er zeigt die tiefe Verunsicherung der Gesellschaft, bis hinein in staatliche Stellen, die sonst nicht unbedingt den Ruf übertriebener Sensibilität genießen.

Es gibt offenbar eine Scheu, Verdächtige als "arabisch" zu bezeichnen

Schwarz-weiß-grau. Ben Becker als Salzburger Jedermann.
Schwarz-weiß-grau. Ben Becker als Salzburger Jedermann.

© Margarita Broich/Insel Verlag

Aus Sorge, fremden- oder gar flüchtlingsfeindliche Emotionen zu schüren, wurden freilich Ängste und Empörung der weiblichen Opfer zunächst ebenso missachtet wie die legitimen Informationsinteressen der Öffentlichkeit. Auch wirkt die nachgereichte pauschale Beschreibung der Tatverdächtigen als „Nordafrikaner“ wiederum zweifelhaft. Wie konnte man (angebliche) Marokkaner oder Algerier von anderen womöglich arabischen Gruppen unterscheiden? Waren es alles Flüchtlinge und Migranten, gab es unter ihnen nicht auch Deutsche, nämlich deutsche Staatsbürger aus Einwanderungsfamilien? Warum wurden die Verdächtigen gleich national zugeordnet, jedoch nicht als „arabisch“ bezeichnet?

Es existiert offenbar eine doppelte Scheu. So, als sollte die Krisenregion des Nahen Ostens (mit den meisten Flüchtlingen) möglichst ausgespart werden. Das erinnert zudem daran, dass sich die deutsche Polizei ungern mit den mafiosen Machenschaften aus dem Milieu ehemaliger arabischer Flüchtlingsfamilien etwa aus dem Libanon anlegt. Das gilt auch für Fernsehkrimis, vom „Angesicht des Verbrechens“ bis zum „Tatort“ mit Til Schweiger. Die Paten des Organisierten Verbrechens sind da regelmäßig russische Mafiosi, nie die laut Insidern viel mächtigeren, vor allem in und von Berlin aus herrschenden libanesischen Clans.

Tatsächlich sind die Zuschreibungen im Diskurs und der Diskussion über Einwanderung, Identitäten und Vorstellungen von „Fremden“ ein Problem. Das Denken beginnt in der Sprache. Der Münchner Soziologe Armin Nassehi, der als Herausgeber der Zeitschrift „Kursbuch“ unlängst die lesenswerte Ausgabe mit dem Titel „Wohin flüchten?“ ediert hat, beklagt in der „Zeit“ die „vergiftete Kommunikation“: „Es scheint kaum Sprachformen zu geben, die dem Schwarz-Weiß-Schema (im wahrsten Sinne des Wortes) entkommen.“ Dieses Schema wirkt nicht nur bei Fremdenfeinden und erklärten Rassisten, es wirkt auch in der Sprache und im Denken der Wohlmeinenden, politisch Korrekten.

So wird mit Blick auf die kommende Oscar-Verleihung kritisiert, dass es unter den nominierten Schauspielern diesmal keine „schwarzen Darsteller“ gebe. Tatsächlich mögen einige Preiswürdige nicht ausgewählt worden sein, aber die Hautfarbe ist kein künstlerisches Kriterium. Merkwürdigerweise spricht auch kaum jemand von den (nicht nominierten) Latinos, den Nachkommen von Indianern oder aus Asien Eingewanderten, denen gleichfalls Vorbehalte der Mehrheitsgesellschaft begegnen. Von „Gelben“ ist heute, auch im Deutschen, so wenig mehr die Rede wie einst von „Rothäuten“.

Nur Schwarz und Weiß bleiben als Stereotype bestehen, obwohl es weder wirklich schwarze noch schneewittchenhaft weiße Menschen gibt. Aber „Braune“ will auch keiner sagen, weil das eher nach einer politischen Färbung klingt oder peinlich wirkt wie bei Berlusconi, der einst den „guten Teint“ des neu gewählten Präsidenten Obama erwähnte.

Identitäten sind heute meist komplexer als gängige äußerlich Zuordnungen

Wir sind im Grunde sprachlos – solange wir nicht begreifen, dass trotz aller kulturellen Unterschiede überhaupt keine menschlichen „Rassen“ (wie bei Tieren) existieren und Identitäten heute meist komplexer und gemischter sind als gängige äußerliche Zuordnungen. Man sucht Differenzen und schafft doch keine Differenzierung. Da hat es die Kunst noch leichter als der politische Diskurs, sie zieht ihre positive Spannung gerade aus dem Unheimlichen, unerwartet Fremden. Nicht Stereotypen, Archetypen wie Krieg und Frieden, Liebe und Hass sind ihre Stilfiguren. Auch Tod und Teufel, wie in dem schönen Fotobändchen „Alles Theater“, in dem die Schauspielerin und Fotografin Margarita Broich in der Insel-Bücherei Porträts von Schauspielerkollegen hinter den Kulissen vorstellt: von Birgit Minichmayr bis Lars Eidinger oder Ulrich Matthes (80 Seiten, 18 €).

Ben Becker, aus dem Salzburger „Jedermann“, ist dabei kein schwarzer Tod, sondern eher grauweiß, wie das Leben. Eine schwarze Maske trägt nur Peter Jordan, der Teufel im nämlichen Stück. In den klugen Interviewtexten von Brigitte Landes erzählt er dazu die Anekdote vom Herrn der Hölle, der in die Theaterkantine kommt und dem Schauspieler sagt: „Ich geb dir alles, was du willst: Rollen, Weiber, Geld, Ruhm.“ Der Spieler möchte wissen, was er dafür tun müsse, die Sache habe doch sicher einen Haken. Der Teufel antwortet, na, du musst mir deine Seele verkaufen. Da fragt der Schauspieler: „Und wo ist der Haken?“

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