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Kultur: Raub nach Ansage

Die Plünderung des Nationalmuseums in Bagdad hat weltweit Entsetzen ausgelöst. Doch zerstört wurde mehr als Vasen und Statuen

Sage keiner, man sei unvorbereitet gewesen, als am Wochenende die Nachricht von der Plünderung des Nationalmuseums in Bagdad um die Welt ging: Seit Monaten warnen Experten und Museumsleute in aller Welt davor, dass mit dem Zusammenbruch des Saddam-Regimes und dem Ende des Krieges die Stunde der höchsten Gefährdung für die Kulturgüter des Irak erst kommen werde. Nicht die Bombardements, sondern die Plünderer und Räuber sind die größte Gefahr für Museen und Kulturstätten, war überall zu hören und zu lesen.

Also wussten es auch die amerikanischen Streitkräfte. Schon vor Ausbruch des Krieges war dem Pentagon eine Liste aller gefährdeten Kulturgüter im Irak übergeben worden. Auch im ersten Golfkrieg waren nach Beendigung der Kampfhandlungen Museen und Kulturstätten geplündert worden. Die Polizeitruppe, die die Unesco nun zum Schutz weiterer Kulturstätten fordert, kommt zu spät: Sie hätte schon letzte Woche, direkt beim Einmarsch der amerikanischen Truppen, bereitstehen müssen.

Die US-Soldaten in Bagdad unternahmen nichts, als plündernde Massen das Museum innerhalb weniger Stunden mit Äxten, Messern und Schlagstöcken verwüsteten. Ebenso wenig griffen sie ein, als Krankenhäuser und Bibliotheken geplündert wurden. Ein einziger Panzer, eine Patrouille hätten wahrscheinlich genügt, um das Museum zu schützen. Doch nur die eigene Sicherheit, der Schutz vor Attentaten, die Suche nach Waffenarsenalen schien die GIs zu kümmern.

Was in Bagdad – und wahrscheinlich auch an anderen Stätten im Irak – geschehen ist, war den Siegermächten offensichtlich egal. Dass die Kultur des eben noch als Feind bekämpften Landes nicht nur Feindesbesitz, sondern gleichzeitig Weltkultur ist, mag einem weisungsgebundenen Soldaten schwer zu vermitteln sein. Doch auch an höchster Stelle, in Washington und am Golf, hatte sich kein Verantwortlicher zum Eingreifen entschlossen. Erst jetzt, Tage nach den Plünderungen, kündigt US-Außenminister Colin Powell als Reaktion auf weltweite Proteste an, die USA wollten sich „um eine Wiederbeschaffung der Kunst- und Kulturschätze bemühen“ und dafür sorgen, dass die Museen besser gesichert würden.

Dass die Rücksicht auf Kulturgüter im Kriegsfall ebenso abnimmt wie die auf Menschenleben, ist ein Gemeinplatz jahrtausendealter Erfahrung. Dennoch liegt der Fall im Irak anders: angesichts der vielfachen Warnungen, angesichts der Erfahrungen des ersten Golfkriegs, angesichts der Leichtigkeit, mit der der Schaden zu verhindern gewesen wäre. Die Katastrophe mit Vorankündigung belegt einmal mehr Brutalismus und alte Ignoranz auch in den „neuen“ Kriegen. Und lässt die Hoffnung, die Verbundenheit, die wir mit der Ursprungskultur im Zweistromland empfinden, möge ein Weg zur neuen Friedensordnung sein, als Utopie erscheinen.

Doch auch die Iraker, die über das Nationalmuseum herfielen, zeigten wenig von jenem Stolz auf die eigene Kultur und Geschichte, der bislang so gerühmt wurde. Wäre es den Plünderern nur um Computer, Tische, Stühle, Vitrinen, um verwertbares Raubgut gegangen, könnte man verstehen, dass sich ein jahrelang in Unterdrückung und Elend lebendes Volk mit beginnender Freiheit selbst bedient. Vandalismus jedoch, die blindwütige Zerstörung von Kunstwerken, hat eine andere Ursache: Die Aggression richtet sich gegen eine Kultur, die von Saddam auch als Machtinstrument benutzt worden war. Man kann sich vorstellen, mit welchem Pomp vor drei Jahren das seit 1991 geschlossene Nationalmuseum wiedereröffnet worden ist – der Tyrann, der sich in der Tradition der antiken Herrscher sah, der seine Paläste neben die Tempelruinen von Babylon baute, trug seinen Teil dazu bei, die nationalen Kunstschätze als suspekte Luxusgüter erscheinen zu lassen.

Dass bei den jetzigen Plünderungen schlicht Unkenntnis hinzu kommt, macht die Sache nicht besser: Jugendliche, die ein Museumswärter stellte, weil sie Röntgenfilme der Sicherheitsschleuse mitgehen ließen, sollen grinsend betont haben, sie klauten „keinen Kunstkram, nur Videofilme“. Ein kulturelles Selbstverständnis und Selbstbewusstsein setzt auch die Freiheit voraus, sich dieses zu bilden. Dass die Kulturgüter von der aufgebrachten Menge auch als Zeichen einer überlebten Unterdrückerherrschaft angesehen werden, ist vielleicht eines der traurigsten Ergebnisse von Saddams jahrelanger Unkultur. Und dass die Siegermächte nichts unternommen haben, um dem Einhalt zu gebieten, lässt befürchten, dass dieser Unkultur nicht per se ein kultivierter Umgang mit dem Erbe der Menschheit folgen wird.

Christina Tilmann

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