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Kultur: Raus aus der Laufbahn

Mit 84 Jahren erfindet die US-Künstlerin Jo Baer ihre Malerei neu.

Schon wieder so ein harter Punch. Kalkuliert anvisiert, leicht angetäuscht und dann die Schlaghand sicher platziert. Wieder einmal werden alle Erwartungen enttäuscht. In einer Zeit, in der die große Minimalistin Jo Baer endlich, aber viel zu spät als Klassikerin der Malereigeschichte anerkannt wird und eine grandiose Ausstellung im Museum Ludwig bekommen hat, zieht die 84-jährige Altmeisterin es immer noch vor, ihre Anhänger mit Nachdruck zu verschrecken. Eben noch sind ihre eleganten, strahlenden Experimente aus den 1960er Jahren in der ersten deutschen Museumsausstellung zu sehen, schon präsentiert sie in Berlin in der Galerie Barbara Thumm merkwürdige, prähistorische Studien.

Das ist umso riskanter, als die Mehrheit der Kunsthistoriker die Biografie der 1929 in Seattle geborenen Baer noch immer in die zwei Phasen vor und nach dem Verrat am amerikanischen Minimalismus unterteilt. Bis Ende der 1970er Jahre malt Baer gleißend weiße Flächen, die von Farbe eingerahmt werden. Während andere die Reduktion zum Äußersten treiben, stellt Baer die äußerste Entleerung rücksichtslos auf die Probe. In Zeichnungen erkundet sie die Wirkung kleinster ornamentaler Hinzufügungen. Sie unterzieht ihre Geometrien Belastungsproben, deutet die guten harschen Linien in böse zarte Dekore um. Ab wann wird eine Methode dogmatisch, fragt Baer. Wie viel Pluralität verträgt die Reduktion?

Dabei legt sie eine furiose Laufbahn als Karriereverweigerin zurück. Sie bricht mit einem Werk, dass ihr früh eine documenta-Beteiligung, wichtige Galerieausstellungen und bereits mit 46 Jahren eine Retrospektive im New Yorker Whitney Museum eingebracht hatte. Doch dann widerrief Baer. Sie zieht nach Irland und – malt zum Entsetzen ihrer Unterstützer und des Marktes nun figurativ. In einem der verblüffendsten Essays der Kunstgeschichte beschreibt sie ebenso ätzend wie gelassen den Untergang der Abstraktion, die in ihrer Sicht die eigenen Reformhoffnungen und radikalen Ansprüche verraten habe.

Auf ihre brillante Abrechnung mit dem Minimalismus folgt die Auseinandersetzung mit der Mythengeschichte der klassischen Malerei. Baer entwickelt Chiffren, die direkt aus der Antike zu stammen scheinen, wird erzählerisch, ohne Geschichten anzubieten. Die Bilder gleichen Fresken, die sich zu kartografischen Umrissen, körperlichen Konturen, bühnenbildhaften Literaturanverwandlungen weiterentwickeln. Doch man streitet sich nicht über ihre Provokationen, man belächelt sie als Geschmacksverirrung. Baer hat sich aus der ihr angebotenen Laufbahn katapultiert. Nun wird sie ignoriert. Dabei war Baers zentrale These nicht der Widerruf der Abstraktion, sondern der Angriff auf ein Kunstverständnis, das keine Widersprüche, Alternativen, Gegenentwürfe, sondern allein das unbeirrte Vorwärtsschreiten erlaubt.

In Berlin nun zeigt sie Gemälde, zu denen es stets mehrere Vorstudien gibt. Frühgeschichtliche Motive wie Lochsteine, aber auch Landkartenausschnitte tauchen auf immer wieder überzeichneten Digitaldrucken auf, die am Ende in bis zu drei Meter große Tableaus umgewandelt werden, die eine Ahnung ihres mimalistischen Vorlebens enthalten. Die aus dem wissenschaftlichen Fundus gegriffenen Motive dienen nämlich vor allem der Organisation flächiger Aussparungen. Sie rahmen monochrome Territorien ein.

Was ist ein Bild? fragt Baer einmal mehr. Was entscheidet über seine Organisation, wenn das in den Bildern abgehandelte Wissen außerhalb der Malerei entsteht und seine Anordnung nach malerischen Kriterien stets das Risiko der Willkür birgt? Sie stellt diese fundamentalen Fragen mit dem Mut und Ungestüm eines Frühwerks. Nein, der Kunstbetrieb wird sie auch dafür nicht lieben. Aber vielleicht versteht eine heutige Künstlergeneration viel besser als früher, dass die Wandelbarkeit eines Werkes eine Qualität und kein Mangel ist. Gerrit Gohlke

Galerie Barbara Thumm, Markgrafenstr. 68; bis 21.12., Di–Sa 11-18 Uhr

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