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Kultur: Rausch und Tausch

Neil Armfield schickt in „Candy“ ein junges Paar durch die Hölle

Die Droge als Tor zum Jenseits: ein bewährtes Motiv, filmisch wohl am prominentesten umgesetzt von David Cronenberg, der 1991 in seiner Burroughs-Adaption „Naked Lunch“ eine bildmächtige Parallelwelt des Rauschs entfesselte. Der Australier Neil Armfield greift für seinen Film „Candy“ in der Motivgeschichte allerdings viel weiter zurück: In drei Stufen lässt er die beiden Helden seines Drogendramas abwärts trudeln, „Himmel“, „Erde“ und „Hölle“ heißen die Unterkapitel. Das gefährlich übermächtige Vorbild hinter diesem Triptychon ist die lyrisch berauschte Jenseitsfahrt des Dante Alighieri: Seine „Göttliche Komödie“ mit ihrer dreigeteilten Architektur aus Inferno, Läuterungsberg und Paradies stand Pate für Armfields Leidensweg zweier Junkies.

Folgerichtig trägt der Held des Films den Namen Dan (Heath Ledger), verdingt sich als Dichter und findet in seiner Muse und Geliebten Candy (Abbie Cornish), was Dante einst seine Beatrice war. Den Weg ins anfängliche Paradies erotischer Harmonie eröffnet dem Paar der abgehalfterte Chemieprofessor Casper (virtuos zynisch: Geoffrey Rush), der beiden als Stofflieferant dient und sie zunächst noch als eine Art Vergil durch das Jenseits des Drogenwahns steuert. Spätestens mit dem zweiten Kapitel des Films aber, dem motivischen Absturz aus den Sphären des Himmels in die Niederungen der Erde, entgleitet Dan die Kontrolle über sein intravenöses Liebeswerk: Aus Geldknappheit degradiert er Candy zur Prostituierten und macht ihren Körper somit zur allseits verfügbaren Tauschware auf der Jagd nach dem Stoff, der die beiden Liebenden eigentlich aneinander binden sollte. Stufe um Stufe geht es weiter hinab – Dan und Candy beweinen ihr drogenbedingt tot geborenes Baby, verlieren ihre Familien und erleiden die Höllenqualen von Entzug und Rückfall. Am Ende wartet wie bei Dante eine Art Läuterung – hier allerdings motivisch verkehrt in die Erkenntnis, dass die Liebe zwischen Dan und Candy nur im Jenseits des Drogenhimmels existieren kann.

Nicht nur inhaltlich bedient sich Armfield aus der danteschen Motivkiste: Der kreisförmige Jenseitsaufbau der „Göttlichen Komödie“ kehrt bildlich in der Jahrmarktzentrifuge wieder, in der Dan und Candy ihr erstes Liebesglück genießen; und er begleitet die beiden Helden bis zum finalen Absturz ihrer berauschten Höllenfahrt, wenn Candy mit manischer Gebärde ein gleißendes Himmelsloch aus Rot und Gelb auf eine Leinwand schmiert. Dazwischen: unzählige Übergangsriten, in denen ein kreisrundes Loch in der Armbeuge zum mythischen Jenseitstor überhöht wird. Wer eintritt, lasse alle Hoffnung fahren.

Unklar bleibt, warum Armfield seinem durchaus bemerkenswerten Film, der im Frühjahr schon auf der Berlinale zu sehen war, einen derart gewaltigen Überbau aufnötigt – denn natürlich verfehlt seine Metaphorik den Anschluss an das literarische Vorbild um mehr als eine Nadelbreite. Ein Höllentrip macht noch keine Jenseitsfahrt – und wäre nicht auch diesseits des Styx aus der Geschichte von Dan und Candy ein anrührendes Liebesdrama geworden?

Babylon Mitte und Babylon Kreuzberg (OmU), Cinemaxx Potsdamer Platz und Kulturbrauerei

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