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Kultur: Ravenhill & Co.: "Sleeping around" auf der Berliner Vaganten-Bühne

Früher trieb es die Dirne mit dem Soldaten, der Soldat mit dem Stubenmädchen, das Stubenmädchen mit dem jungen Herrn. So ging der stets mit Gier und Genuss beginnende, in Ekel und Kälte mündende "Reigen" weiter.

Früher trieb es die Dirne mit dem Soldaten, der Soldat mit dem Stubenmädchen, das Stubenmädchen mit dem jungen Herrn. So ging der stets mit Gier und Genuss beginnende, in Ekel und Kälte mündende "Reigen" weiter. Bis der Kreis sich schloss und der erotische Totentanz wieder bei der Dirne ankam. Arthur Schnitzlers Ringelreihen der Amouren endete bei der Uraufführung 1920 mit einem Skandal. Kann aber heute ein theatralisches Herumvögeln in zwölf Stationen noch irgendwen schockieren?

In "Sleeping Around" versuchen vier britische Jung-Autoren, Schnitzlers Grundmuster in den Zeitgeist zu transferieren. Dass das szenische Pingpong-Spiel von Mark Ravenhill und Co. nicht die ironische Eleganz Schnitzlers haben würde, war nach "Shoppen & Ficken" zu erwarten. Dass die Sprache der sexuell Dauererhitzten aber so dürftig, ihre erotischen Phantasien so ausgelutscht sein würden, enttäuscht denn doch. Drei Wochen nach der deutschsprachigen Erstaufführung am Staatsschauspiel Dresden mühen sich jetzt auf der Berliner Vaganten-Bühne Sebastian Goder und Eva Mannschott, alle Rollen zu stemmen. Sie geben ihr Bestes, aber es reicht nur selten. Zumeist bleiben die nur wenige Minuten dauernden Szenen-Splitter im Ansatz stecken, kommen sie übers Klischee nicht hinaus.

Der Regisseur Folke Braband und seine Bühnenbildnerin Olga Lunow begegnen Schwäche und Dürftigkeit der Text-Schnippsel mit strenger Formensprache. Statt auf schockierenden Realismus setzen sie auf die Kunst der Andeutung. Die von silbrig-grauen Wänden umstellte Bühne ist leer. Goder und Manschott schleppen mal einen Stuhl, mal ein Bett herein und verbreiten die Atmosphäre erster, improvisierter Stellproben. Dem kruden, immer gleichen Dialog-Korsett (Sie: "Ich liebe dich!", er: "Willst du ficken?") wird so die pseudo-soziale Bodenhaftung genommen, die kümmerliche Zeitgeist-Sprache wird zum Kalauer verwurstet.

Die coole Marketing-Strategin greift dem zynischen Sozial-Experten ans Gemächt, der von flinker Hand befriedigte Wissenschaftler drangsaliert danach seine Studentin von hinten. Für die sexuelle Demütigung rächt sich die nächtens in einem Lagerhaus jobbende Studentin an einem peinlich berlinernden Wachschutzmann. Wenn er etwas von ihr will, muss er auf die Knie fallen. Was die kommunikativen Krüppel, erotischen Blindgänger und sexuellen Legastheniker im Bett und auf der Parkbank treiben, öffnet manchmal für Momente den Blick in existenzielle Abgründe. Den Mehltau ermüdender Endloswiederholungen können die routiniert abgespulten Quickies aber nicht wegpusten.Wieder vom 5. bis 7. November, 20 Uhr.

Frank Dietschreit

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