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Re:publica: Legal, illegal, digital

Zur Berliner "Re:publica"-Konferenz: Was wird aus dem geistigen Eigentum im Online-Zeitalter? Wenn ein Exemplar reicht - wer produziert dann noch?

Heute beginnt in Berlin die dreitägige „Re:publica“-Konferenz über Kommunikationsformen, die durch das Internet möglich wurden: Weblogs, Netzwerke wie Facebook oder Studi VZ und gemeinschaftliche Projekte wie das Lexikon Wikipedia. In mehr als 150 Veranstaltungen können sich die Teilnehmer über Zensur im Internet informieren, über mobilen Aktivismus in Afrika oder „Modefotografie auf der Straße“. Eins der Hauptthemen der Konferenz ist das Urheberrecht.

Der Grund: Technische Entwicklungen haben zum sogenannten digitalen Dilemma geführt. Ein Buch kann aus einer Bibliothek nur von einem Menschen entliehen werden, und nur dann, wenn er eine Bibliothek in der Nähe hat. Liegt das Buch in einer elektronischen Ausgabe vor, kann es von unbegrenzt vielen Menschen zur gleichen Zeit gelesen werden, solange sie Zugang zum Internet haben.

Leser und Gesellschaft haben sich daran gewöhnt: Es gibt einen einfachen, kostengünstigen Zugang zu Wissen und Informationen, Kultur und Unterhaltung für alle. Doch das Szenario, das mit dem Hype um das iPad gerade einen neuen Popularitätsschub erhält, hat eine Schattenseite. Für Urheber und Verwerter, für Verlage, Film- und Musikfirmen, Hersteller von Software und Computerspielen stellt sich die Frage, wie viele Exemplare eines Buchs, Musikstücks oder Films noch verkauft werden, wenn es verlustfrei kopiert und nahezu kostenlos verteilt werden kann. Die Antwort könnte lauten: Dann genügt ein einziges Exemplar. Wie viele Bücher, Fotos oder Songs entstehen dann noch? Wer zahlt künftig für die, die sie schaffen?

Hier kommt das Urheberrecht ins Spiel. Es erlaubt allein den Rechteinhabern, darüber zu entscheiden, wer zu welchem Preis eine Kopie eines Werks machen, wer es verbreiten und öffentlich anbieten darf. Der sperrige Begriff Rechteinhaber ist deshalb notwendig, weil es immer seltener die Urheber selber sind, die die Rechte an ihren Werken besitzen. Sie treten sie ab, gegen Geld: an Buch- und Presseverlage, Musiklabels, Filmverleiher, Zeitungskonzerne, Rundfunkanstalten und andere Verwerter.

Die Digitalisierung macht es schwierig, diese Rechte durchzusetzen. MP3-Musikdateien und Spielfilme in DVD-Qualität, Computerspiele und eBooks werden aus Tauschbörsen heruntergeladen, ohne dass dafür Geld an Labels, Studios, Verlage und Produzenten fließt. Spätestens hier wird es kompliziert. Denn die Interessen der Beteiligten sind völlig verschieden, je nachdem, welche Vereinbarungen sie miteinander treffen und in welcher Branche sie tätig sind. Wenn ein Schriftsteller oder Journalist pauschal für einen Text honoriert wird, möchte er, dass der Text oder das Buch möglichst weit verbreitet wird. Der Verlag hingegen möchte für jede Veröffentlichung, für jeden Download Geld sehen.

Besonders drastisch ist der Konflikt in der Wissenschaft. Noch immer können Verlage Forscher nötigen, alle Verwertungsrechte an ihren Publikationen abzutreten, obwohl die Autoren keine Honorare bekommen. Denn die Wissenschaftler sind darauf angewiesen, in renommierten Zeitschriften zu publizieren, um Karriere zu machen oder Fördergelder zu erhalten.

Die Allgemeinheit zahlt auf diese Weise dreifach für den Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen: indem sie mit Steuern zuerst die Arbeit der Wissenschaftler finanziert, dann die Überprüfung der Erkenntnisse – denn auch diese wird unbezahlt von Wissenschaftlern geleistet –; und schließlich müssen die öffentlich finanzierten Bibliotheken für die Zeitschriften zum Teil horrende Preise zahlen. Aus einer am Gemeinwohl orientierten Sicht kann dieses Modell nicht länger toleriert werden.

In anderen Branchen ist die Lage weniger eindeutig. Filme werden mit Millionenaufwand produziert, ihr Budget kann oft nur dann wieder eingespielt werden, wenn sie nicht nur im Kino gezeigt, sondern auch auf DVDs verkauft und vermietet werden, wenn Kunden per BezahlDownload oder Pay-TV Geld in die Kasse spülen. Weil Filme aber schon zum Kinostart kostenlos in oft bester Qualität aus Tauschbörsen heruntergeladen werden können, hat die Filmindustrie ein Riesenproblem.

Für dessen Lösung kann sie von der Musikindustrie lernen. Online-Kunden sind bereit zu bezahlen, wenn sie einen guten Service bekommen – das hat Apple mit seinem iTunes-Musicstore gezeigt. Längst kann man auf unkomplizierte Weise für kleine Beträge einzelne Songs, Sinfonien oder ganze Alben kaufen. Die Musikindustrie, die mit dem Slogan „Man kann nicht mit kostenlos konkurrieren“ schärfere Gesetze erzwingen wollte, wurde von einem Computerhersteller eines Besseren belehrt. Doch ist die Entwicklung noch nicht zu Ende: In den USA wurden im vergangenen Quartal erstmals weniger Musik-Downloads erworben als im Quartal zuvor. Wahrscheinlich wird man nie wieder so viel Geld mit Tonträgern verdienen können wie in den 90er Jahren, als man den Kunden ihr Repertoire ein zweites Mal verkaufen konnte, weil die CD die Schallplatte ersetzte.

Aber muss der Staat dafür sorgen, dass ein Geschäftsmodell, das jahrzehntelang für Milliardeneinnahmen sorgte, erhalten bleibt, egal wie die Welt sich verändert? Es gibt kein Recht auf Profit. Vor allem kann es nicht sein, dass der Staat Bürgerrechte einschränkt, um einer Branche zu helfen.

Das wäre der Fall, wenn sich die Urheberrechtsindustrien – nicht die Kreativen – mit ihren Forderungen durchsetzen, dass Bürger überwacht, ihre Laptops an Flughäfen nach „illegalen“ Musikstücken durchsucht werden und ihnen bei Verstößen gegen das Urheberrecht der Zugang zum Internet gesperrt wird. Das ist kein theoretisches Horrorkabinett, sondern genau das, was sich einige Rechteverwerter von der Politik erhoffen und was in Ländern wie Frankreich und Großbritannien zum Teil bereits Wirklichkeit ist.

Ein derart überwachtes Internet widerspricht jedem gesunden Rechtsempfinden. Welche Folgen es haben kann, wenn die Frage, wie weit Eigentum reicht, willkürlich ausgehandelt wird, wurde bereits beschrieben, als es in Deutschland noch gar kein kodifiziertes Urheberrecht gab. Im Oktober 1842 veröffentlichte die „Rheinische Zeitung“ einen Artikel eines gewissen Karl Marx über das Holzdiebstahlgesetz. Der Landtag der Preußischen Rheinprovinz hatte entschieden, dass es von nun an ein Verbrechen war, Raffholz einzusammeln, tote Äste, die von den Bäumen gefallen waren und bis dato niemandem gehört hatten. Wer Geld hatte, konnte nun Feuerholz vom Waldeigentümer kaufen. Wer kein Geld hatte, fror.

Das Beispiel zeigt auch, wie abhängig das Recht davon ist, dass es anerkannt wird. Marx schlug dem Landtag dessen Beschluss um die Ohren: „Das Volk sieht die Strafe, aber es sieht nicht das Verbrechen, und weil es die Strafe sieht, wo kein Verbrechen ist, wird es schon darum kein Verbrechen sehen, wo die Strafe ist. Indem ihr die Kategorie des Diebstahls da anwendet, wo sie nicht angewendet werden darf, habt ihr sie auch da beschönigt, wo sie angewendet werden muss.“

Selten passte das Bild des gordischen Knotens besser: Kreative sollen Geld für die Werke bekommen, die das Publikum liebt, ohne zugleich eine ganze Generation von Nutzern vor den Kadi zu zerren und die Möglichkeiten der Digitalisierung zunichte zu machen. Ein Vorschlag, wie man den Knoten durchschlagen könnte, ist die Kulturflatrate. Breitbandnutzer zahlen eine pauschale Abgabe, die über einen Verteilschlüssel an diejenigen ausgeschüttet wird, deren Werke in Tauschbörsen und anderswo angeboten werden. „Digitaler Kommunismus“ sei das, rufen die einen. Die einzige Antwort, die den neuen Zeiten angemessen ist, meinen andere. Von einer echten Lösung ist man weit entfernt.

All das sieht nach einer trüben Zukunft für die aus, die von ihrer Kreativität leben wollen. Aber, um es mit Clay Shirky, Professor an der New York University und einem der bekanntesten Medienberater der USA, zu sagen: So passieren Revolutionen eben. Altes zerbricht schneller, als Neues sich etabliert. Gewachsene soziale Abmachungen können nicht ersetzt werden, sobald sie zerstört sind, weil es Jahrzehnte dauert, bis sich eine neue Abmachung festigt. In einer solchen Zwischenphase befindet sich die Gesellschaft derzeit.

Elende Zeiten? Zeiten jedenfalls, in denen bisher Festgefügtes neu verhandelt werden muss. Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch. Der Verfasser dieses Bonmots, Friedrich Hölderlin, ein Zeitgenosse von Marx, konnte zeitlebens nicht von seinem literarischen Schaffen leben.

Matthias Spielkamp

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