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Kultur: Reaktionen auf den Terror: Sie kämpfen mit der Angst

Der Krieg in Afghanistan, so makaber es klingt, dümpelt in der Wahrnehmung der Amerikaner vor sich hin. Denn seit zwei Wochen etwa beherrscht die Medien ein anderes Thema - der Anthrax-Erreger, zu deutsch: Milzbrand.

Der Krieg in Afghanistan, so makaber es klingt, dümpelt in der Wahrnehmung der Amerikaner vor sich hin. Denn seit zwei Wochen etwa beherrscht die Medien ein anderes Thema - der Anthrax-Erreger, zu deutsch: Milzbrand. Immer neue Fälle der potenziell tödlichen Krankheit beunruhigen die Bevölkerung zutiefst. Besonders betroffen sind vor allem New York, New Jersey und die Hauptstadt des Landes, Washington D.C.. Die Spuren, die die verseuchten Briefe hinterlassen haben, werden immer rätselhafter und verzweigter. Jeden Tag wird die Gefahr dadurch diffuser - und größer. Wer nur einige der Meldungen zusammenfasst, die am Montag über die Sender liefen, kann sich dem allgemeinen Gefühl der Bedrohung kaum entziehen.

Zum Thema Online Spezial: Terror und die Folgen Themenschwerpunkte: Krieg - Afghanistan - Bin Laden - Islam - Fahndung - Bio-Terrorismus Fotostrecke: Der Krieg in Afghanistan Nach dem Kapitol wurden jetzt in fünf weiteren staatlichen Gebäuden Anthrax-Sporen gefunden. Dazu zählen das Oberste Gericht, das Außenministerium, je eine Abteilung des Landwirtschafts- und Gesundheitsministeriums sowie die Poststelle des Regierungssenders "Voice of America". Damit hat sich in und um Washington die Zahl der kontaminierten Stellen inzwischen auf zwanzig erhöht. An sämtliche Mitarbeiter und Poststellenbedienstete dieser Stellen wird prophylaktisch das Antibiotikum "Cipro" ausgegeben. Auch alle neun Obersten Richter nehmen "Cipro". Sie gehen ihrer Arbeit nach, das Gericht selbst jedoch steht weiterhin unter Quarantäne. Zusätzlich ist der Erreger in der US-Botschaft in Peru diagnostiziert worden.

Wo anfangen, wo aufhören? Überall in der Hauptstadt sind in diesen Tagen gespenstisch aussehende Trupps unterwegs, die nach dem Erreger fahnden. Die Behörden erwägen ernsthaft, alle 4000 Haushalte und Organisationen zu überprüfen, die ihre Briefe aus der zentralen Poststelle in der Brentwood Road im Nordosten Washingtons beziehen. Dort war jener verseuchte Brief durchgelaufen, der an den Mehrheitsführer im Senat, den Demokraten Thomas Daschle, adressiert gewesen war. Die Streuwirkungen, die dieser Brief hatte, müssen enorm gewesen sein. Nicht ausschließen lässt sich freilich die Möglichkeit, dass noch mehr Briefe mit dem Erreger im Umlauf sind, als bekannt ist.

Die beunruhigendste Meldung kam allerdings aus Hamilton, New Jersey. Dort wurde die Krankheit bei einer 51-jährigen Frau diagnostiziert, die lediglich in der Nähe des Postamtes wohnt, in dem die Reise der drei verseuchten Briefe - an Senator Thomas Daschle, NBC-Moderator Tom Brokaw und die "New York Post" - ihren Anfang genommen hatte. Bis zum Montag hieß es noch, infiziert hätten sich nur jene Personen, die unmittelbar mit einem der verseuchten Briefe in Berührung gekommen seien. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Bazillus von Brief zu Brief weitergetragen werde, sei äußerst gering. Dieser Glaubenssatz ist nun nachhaltig erschüttert worden. Offenbar sind auch Menschen gefährdet, die Briefe erhalten, die lediglich Kontakt hatten zu anderen, kontaminierten Briefen. Die Krankheit ist nicht ansteckend, aber die Post ist es womöglich.

In die ohnehin nervöse Grundstimmung platzte am Montag dann die Warnung der amerikanischen Regierung vor neuen Terrorattacken. In Kürze schon könne Osama bin Ladens Organisation Al Qaida Ziele in den USA oder US-Einrichtungen im Ausland angreifen, hieß es auf einer gemeinsamen Pressekonferenz von Justizminister John Ashcroft und FBI-Direktor Robert Mueller. Sie beriefen sich auf "umfangreiche und sehr glaubwürdige" Geheimdienstinformationen. Die Sicherheitsbehörden wurden in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Die Warnung war deutlich, blieb aber vage. Konkrete Hinweise auf Ziele und Methoden gab es nicht. Das Ausbleiben weiterer Anschläge nach dem 11. September dürfe die Amerikaner nicht verleiten, in "falsche Gleichgültigkeit" zu verfallen, sagte Ashcroft noch - und: "Es ist wichtig, dass diese Warnungen sehr ernst genommen werden."

Ein zentraler Bestandteil der Sorgen, die die US-Regierung plagen, ist die Erkenntnis, dass die Terrorzellen von Al Qaida inzwischen selbstständig operieren dürfen. Offenbar hat bin Laden eingesehen, dass seine hierarchisch angelegten Kommunikationssysteme entweder zerstört wurden oder zu unsicher geworden sind. Deshalb hat er, nach US-Geheimdienstinformationen, seinen Gefolgsleuten den Befehl erteilt, ihre Attentate ohne Zustimmung der Al-Qaida-Spitze zu planen und auszuführen. Allein in den USA hat das FBI seit dem 11. September mindestens ein halbes Dutzend solcher Terrorzellen identifiziert. Annähernd tausend Menschen wurden im Zusammenhang mit den Ermittlungen festgenommen.

Drastisch verschärft wurden inzwischen auch die Einwanderungs- und Aufenthaltsbestimmungen. Präsident George W. Bush kündigte die Bildung einer besonderen Einheit an, die Ausländer, die sich illegal im Land aufhalten, ausfindig macht und deportiert. Von mindestens zwei der 19 Terroristen ist bekannt, dass ihre Studentenvisa abgelaufen waren. Er habe niemals geglaubt, sagte Bush, dass es Menschen gibt, "die unsere Großzügigkeit in diesen Dingen dermaßen missbrauchen".

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