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Kultur: Reaktionen lassen sich mit nahezu beliebigen Reizen verknüpfen (Glosse)

An den Tagen, an denen einem mal wieder aufgeht, wie sehr doch alles mit allem zusammen hängt, macht es keine Mühe, gerade Iwan Petrowitsch Pawlow, dessen Geburtstag sich heute zum 150. Mal jährt, in der Chronik der laufenden Ereignisse unterzubringen.

Von Gregor Dotzauer

An den Tagen, an denen einem mal wieder aufgeht, wie sehr doch alles mit allem zusammen hängt, macht es keine Mühe, gerade Iwan Petrowitsch Pawlow, dessen Geburtstag sich heute zum 150. Mal jährt, in der Chronik der laufenden Ereignisse unterzubringen. Denn der Physiologe aus St. Petersburg, dem die Menschheit die Entdeckung des bedingten Reflexes verdankt, hat mit seinem Hund, dem auch ohne Futter, nur mit Hilfe eines Gongsignals, der Speichel zu fließen beginnt, das Paradebeispiel dafür geschaffen, dass sich . An der Überlagerung von natürlichen Reflexen durch künstliche arbeitet ja bekanntlich auch die Politik. Wo der Name FDP nur noch Magengrimmen auslöst, soll Guido Westerwelle bald wieder allen ein Lächeln auf die Lippen zaubern.

Aber zurück zu Iwan Petrowitsch, dessen Arbeiten schon Lenin im Hinblick auf die Konditionierung des sozialistischen Menschen schätzte. Pawlow hat - im Vorgriff auf Burrhus F. Skinner - gewissermaßen den Behaviorismus erfunden. Er ist der Großvater des Method Acting, das über den französischen Psychologen Théodule Ribot bis zu Lee Strasberg in New York vorgedrungen ist: Ein Schauspieler kann sich in einen Weinkrampf stürzen, wenn er zur Vorbereitung in ein Taschentuch schnäuzt, mit dem er sich schon einmal wegen einer verflossenen Liebe Tränen aus den Augen gewischt hat. Und irgendwie hat er auch das zeitgenössische Feuilleton mitbegründet, in dem man in diesen Tagen nur "Sloterdijk" sagen muss, damit das Wort "Kryptofaschist" zurückschallt. Es kann freilich sein, dass das schon ins Feld des kognitiven Lernens hinüberspielt, in dem die simple Konditionierung zugunsten sozialer Lernprozesse aufgehoben worden ist. Schon dreht sich der Wind zugunsten Sloterdijks. Kurz: Die Sache mit dem Pawlowschen Hund ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Die Labors sind auf Kaninchen umgestiegen. Statt des Futtergongs wird nur noch sanft geklingelt, und man beschränkt sich darauf, die Viecher zum Blinzeln zu bringen. Ein Experiment, bei dem man nebenbei entdeckt hat, dass sich dem ersten bedingten Reflex kein zweiter - etwa über ein Lichtsignal - vorschalten lässt: ein Mechanismus, den die Forscher als Blocking beschreiben. Die Tiere, heißt es, missachten Reize, die keine neuen Informationen enthalten; es geht auch ihnen um Effizienz und Einfachheit. Das ist einerseits tröstlich. Andererseits hat man diesen Mechanismus bereits medizinisch probeweise ausgeschaltet, indem die Verbindung zwischen Kleinhirn und Hirnstamm lahmgelegt wurde. Am Menschen sollte man das vielleicht besser nicht ausprobieren. Zur Begründung braucht man diesmal sicher keine Philosophen.

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