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Kultur: Realität ist mehr als ein Spiel

Der Erfurter Amoklauf auf der Bühne – in Erfurt

Sie sind erst 17 – und fühlen sich schon in der Sackgasse. Deshalb haben sie sich freiwillig als Geiseln gemeldet, als ihr Mitschüler Jan den Aufstand probt und einer Lehrerin die Pistole an die Stirn drückt. Jetzt sitzen sie in einer schwarzen Box, das Fenster ein Videoscreen.

Der Erfurter Autor Alexander Schmidt sucht in „Level 13“ nach Erklärungen für die Gefühle von Jugendlichen. Der Amoklauf vom April 2002 im Erfurter Gutenberg-Gymnasium ist dabei die Folie, vor der sich das Stück abspielt. In „Bild des Monsters“, Schmidts erstem Text zum Thema, richtete er den Blick auf die Erwachsenen. In „Level 13“ treten nur Jugendliche auf. Schmidt versucht Psychogramme von Jugendlichen zu zeichnen und zeigt zugleich deren Blick auf die Erwachsenen. Dabei werden Gedanken ausgestellt und Haltungen erklärt. „Level 13“ ist ein gut gebautes, argumentatives Redestück, in dem jede Person ihren eigenen Selbsterklärungs-Monolog bekommt. Regisseurin Sasha Mazzotti lässt die Darsteller in der Uraufführung durch das Nationaltheater Weimar, die im Erfurter Theater stattfand, dazu vor die Kamera treten. Die Live-Filme befreien die Monologe von allen Theatergesten und -tönen, die etwa die Figur des Geiselnehmers künstlich und unglaubwürdig wirken lassen. Doch leider verkünstelt die Regisseurin den so nüchternen Text auch wieder. Sie lässt die Aufführung mit Hamlets „Sein oder Nicht Sein“- Monolog beginnen (und enden) – und die Jugendlichen tragen anfangs historisierende Kostüme. So bekommt die Verzweiflung darüber, die Realität nur im Spiel beeinflussen zu können, etwas moralisierend Pathetisches.

Jan, der Geiselnehmer, kopiert für seine Aktion das Computerspiel „Level 13“. Die Übertragung der zu eliminierenden Figuren aus der virtuellen auf die wirkliche Welt nimmt er tödlich ernst. Seine Schulkameraden begreifen dies erst allmählich. Die Psychogramme der Jugendlichen sind facettenreich. Die Angepasste und der Träumer, der Verzweifelte und der Zyniker: Sie alle vereint mörderischer Hass auf die Eltern und die vergebliche Suche nach einem Ausweg.

Leider gerät das Stück durch die emotionale Verstrickung der Figuren zum Kitsch. Wenn Jan mit seinem Computer-Nachspiel schließlich vollends die Spielregeln der globalisierten Leistungsgesellschaft kopiert, soll einer sterben – und jeder muss erklären, warum gerade er überleben dürfe. Natürlich geht das nicht gut aus in diesem unspekulativen Stück über jugendliche Gefühle, das in Kürze in Halle und München nachgespielt wird.

Hartmut Krug

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