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Kultur: Rechte Gewalt: "Die Polizei hätte gründlicher ermitteln müssen"

Er hat den Fall untersucht und bleibt skeptisch: "Was wir über den ertrunkenen Joseph haben, reicht nicht aus für eine Anklage, aber für einen hinreichenden Tatverdacht", sagt Christian Pfeiffer, Chef des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen und designierter Justizminister des Landes. Pfeiffer hat im Sommer auf Bitte von Renate Kantelberg-Abdulla, der Mutter des toten Kindes, das von ihr übersandte Aktenmaterial analysiert.

Von Frank Jansen

Er hat den Fall untersucht und bleibt skeptisch: "Was wir über den ertrunkenen Joseph haben, reicht nicht aus für eine Anklage, aber für einen hinreichenden Tatverdacht", sagt Christian Pfeiffer, Chef des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen und designierter Justizminister des Landes. Pfeiffer hat im Sommer auf Bitte von Renate Kantelberg-Abdulla, der Mutter des toten Kindes, das von ihr übersandte Aktenmaterial analysiert. Zusammen mit einem Mitarbeiter seines Instituts, einem ehemaligen Strafrichter. Pfeiffer und sein Experte halten nur eine Erkenntnis für sicher: Die Polizei hätte nach dem Tod des Sechsjährigen im Juni 1997 in Sebnitz gründlicher ermitteln müssen.

Ob der kleine Joseph von rechtsextremen Skinheads umgebracht wurde, wie die Mutter sagt, oder ob der Tod auch ohne ein Verbrechen eingetreten sein könnte - "für mich steht es fifty-fifty", meint Pfeiffer. Dass die vor zwei Tagen erfolgte Verhaftung von zwei jungen Männern und einer Frau ein Beleg für die Version von Renate Kantelberg-Abdulla sein könnte, schließt Pfeiffer nicht aus, auch wenn ihn die Polizei-Aktion gleich nach dem Bericht in der "Bild"-Zeitung überrascht hat. Jedenfalls hat Pfeiffer das Ergebnis seiner Untersuchung schon vor einiger Zeit dem sächsischen Innen- sowie dem Justizministerium zukommen lassen. Mit dem Hinweis, neue Ermittlungen seien notwendig. Beide Behörden hätten sich dann auch des Falles angenommen. Seine Zweifel an der Darstellung der Mutter begründet Pfeiffer mit mehreren Argumenten: Es sei "mit Sicherheit falsch", dass etwa 200 Augenzeugen den Tod des Jungen beobachtet haben. Normalerweise falle doch kaum jemandem auf, wenn in einem Spaßbad gekreischt oder ein Kind ins Wasser geworfen wird. Außerdem hätten die grölenden Skinheads nach Angaben der Mutter einen Kreis um Joseph gebildet. Pfeiffer: "Nur wenige Leute hatten die Möglichkeit, den Vorfall mitzubekommen." Das gelte auch für das Geschehen am Kiosk, wo die Skinheads zuvor schon das Kind gequält haben sollen.

Die Aussagen von mehr als zehn Zeugen haben Pfeiffer und sein Kollege untersucht. Es handelte sich um Kinder, Jugendliche und Erwachsene. "Frau Kantelberg-Abdulla hat die Kinder zu ihren Aussagen sehr ermutigt", erklärt Pfeiffer seine Skepsis. Andererseits hätten die Eltern alle zugelassen, dass ihre Kinder mit Josephs Mutter Gespräche führten, die aufgezeichnet wurden. Pfeiffer sagt es nicht, doch drängt sich automatisch die Frage auf: Hätten die Eltern die Interviews erlaubt, wenn ihnen das Vorgehen von Josephs Mutter suspekt gewesen wäre?

Der Kriminologe ahnt, warum Renate Kantelberg-Abdulla so hartnäckig recherchiert. Da sie und ihr aus Irak stammender Mann in Sebnitz schon lange "sehr gemein" behandelt worden seien, musste die Mutter den Tod des Jungen "als logische Folge wahrnehmen". Möglicherweise seien die Eltern "Opfer ihrer grausigen Mobbing-Erfahrungen" geworden. Pfeiffer kann sich aber auch vorstellen, dass beides passiert ist: Erst das Mobbing, dann die Tötung des kleinen Jungen. Weil sich die Eltern nicht aus dem Ort ekeln ließen.

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