zum Hauptinhalt

Rechtschreibreform: Keine Regel ohne Ausnahme

Die neue Rechtschreibung tritt ab dem 1. August endgültig in Kraft. Doch in der zeitgenössischen Literatur bleibt vieles beim Alten, denn die großen Literaten wie Grass und Walser scheren aus.

Berlin - "Endlich wieder einheitliche deutsche Rechtschreibung!", jubelt der Lehrerverband Bildung und Erziehung (VBE). "Am 1. August kommen die Schulen endlich wieder in ruhiges Fahrwasser, dann ist in allen Bundesländern die Rechtschreibung in der Fassung von 2006 Grundlage des Unterrichts", freut sich der Bundesvorsitzende des VBE, Ludwig Eckinger. Das gilt jedoch nur, wenn die Schüler die Finger künftig von zeitgenössischer Literatur, beispielsweise von Literaturnobelpreisträger Günter Grass ("Die Blechtrommel") oder Martin Walser ("Die Angstblüte"), lassen. Die großen alten Männer der deutschen Literatur werden auch künftig nicht nach den neuen Regeln schreiben.

"Bei uns sind es neben Grass zum Beispiel auch Botho Strauß und der in Bulgarien geborene Illja Trojanow, die Wert auf die alten Rechtschreibregeln legen", sagt dtv-Verlagssprecherin Christine Heinrich. Der 61-jährige Strauß ("Die Widmung", "Paare, Passanten") gehört zu den meistgespielten zeitgenössischen Dramatikern an deutschen Theatern. Man beuge sich den Wünschen der Autoren und folge "ihrer" Rechtschreibung. "Nur im Bereich Jugendliteratur und auch bei den Sachbüchern wird die neue Rechtschreibung konsequent angewandt", sagt Heinrich.

Ähnlich verfährt auch der Rowohlt Verlag. Dort ist es neben dem 79-jährigen Walser ("Der Augenblick der Liebe") nach Verlagsangaben zum Beispiel auch der 38-jährige Uwe Tellkamp ("Der Eisvogel"), der Wert auf die alten Regeln legt. Ansonsten verlassen jedoch rund 98 Prozent der neu erscheinenden Bücher den Verlag mit "Schuss" statt "Schuß" und mit "schnäuzen" statt "schneuzen". Schon seit Mai 2000 ist das Haus in Reinbek bei Hamburg dabei, sein Buchprogramm nach und nach anzupassen. Auch dort gibt es beim Kinder- und Jugendbuchprogramm kein Pardon: geschrieben wird ausschließlich nach neuen Regeln.

Verlage und Zeitungen gehen unterschiedliche Wege

Einen anderen Weg geht der Diogenes Verlag in Zürich, der so bedeutende Autoren wie Patrick Süskind ("Das Parfüm"), Paulo Coelho ("Der Alchimist"), John Irving ("Bis ich dich finde") und F. Scott Fitzgerald ("Der große Gatsby") vertritt. "Wir wenden bis auf Weiteres die Regeln der alten deutschen Rechtschreibung an. Eine Ausnahme bilden Kinder- und Jugendbücher, die seit 1997 in neuer Rechtschreibung erscheinen, ab 1. August in der dann gültigen Orthografie", sagt Verlagssprecherin Ruth Geiger. Bei Varianten werde die "herkömmliche Schreibweise" verwendet. "Wir haben bis jetzt mit unserer Entscheidung gute Erfahrungen gemacht und beobachten weiterhin die 'Reform der Reform' und die Entwicklung der deutschen Rechtschreibung, um gegebenenfalls neu zu entscheiden", fügt sie hinzu.

Auch die Zeitungsverlage gehen unterschiedliche Wege in der Umsetzung der reformierten Rechtschreibung. Während sich die Axel Springer AG mit ihren großen Tageszeitungen wie "Welt" und "Bild" sowie mit allen ihren Publikationen umstellt, will sich die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ) noch viel Zeit lassen und die weitere Entwicklung der Akzeptanz der Rechtschreibung abwarten. In den kommenden Monaten werde sich zunächst nichts ändern, heißt es aus der Redaktion. Die "FAZ" war im August 2000 als erste Tageszeitung zur alten Rechtschreibung zurückgekehrt.

Der Verlag Axel Springer dagegen setzt darauf, dass es trotz der Reform und der vielen erlaubten Schreibvarianten gelingen kann, die Einheitlichkeit der Schreibung der deutschen Sprache wiederherzustellen. Um diese Zielsetzung zu unterstützen, würden alle Zeitungen, Zeitschriften und Online-Medien des Verlages den Schreibempfehlungen des Dudens folgen, die dieser in der neuen Auflage enthält. (tso/ddp)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false