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Kultur: Reden ist Gold

Angenehm altmodisch: Sydney Pollacks Polit-Thriller „Die Dolmetscherin“

Die Kamera stürzt vom Himmel hinab und fliegt auf die Stadt zu. Sie kann sich nicht satt sehen an den Wolkenkratzern, dem durch die Häuserschluchten flutenden Verkehr, dem Gewimmel der Passanten. Bald dringt ein vielstimmig summendes Sprachengewirr hinauf: italienische, portugiesische, asiatische Satzfetzen. So wie „Die Dolmetscherin“ beginnt, hat man New York schon oft im Kino gesehen. Aber gehört hat man die Metropole, von der das Klischee behauptet, sie sei die Hauptstadt der Welt, so noch nie: als unablässig palavernden, gleichsam in Zungen sprechenden Organismus. Im UN-Hauptquartier, wo große Teile des Films spielen, kommen Delegierte aus 191 Staaten zusammen. „Die Dolmetscherin“ ist ein linguistischer Thriller, er handelt vom Akt des Sprechens und davon, wie Verständigung an ihre Grenzen stößt. Weil die Wahrheit in diesem Film jenseits der Bilder liegt, lohnt es, sehr genau auf die Tonspur zu achten.

Silvia Broome (Nicole Kidman) ist beruflich zum exakten Hinhören verpflichtet, sie arbeitet als Dolmetscherin bei der UN. Eines Abends kehrt sie noch einmal in ihre Sprecherkabine zurück, um eine Flöte abzuholen, die sie dort vergessen hatte. Der Saal der Vollversammlung ist verwaist, aber Broome meint, ein Flüstern zu vernehmen. Der Satz „Der Lehrer wird diesen Raum niemals lebend verlassen“, gesprochen in einem seltenen afrikanischen Dialekt, kann nur als Todesdrohung gegen den Drittwelt-Despoten Dr. Zuwanie (Earl Cameron) verstanden werden, der in wenigen Tagen vor der UN sprechen soll. Die Dolmetscherin alarmiert die Sicherheitsbehörden, das FBI stellt ihr den Agenten Tobin Keller (Sean Penn) als Schutz zur Seite. Ihrer Geschichte glaubt er zunächst nicht, ihm kommt die Zeugin selber höchst verdächtig vor. Sie wuchs in Matobo auf, einem Bürgerkriegsland nach dem Vorbild von Nigeria oder Ruanda, die Schergen des Dr. Zuwanie haben ihren Bruder ermordet. Fotos tauchen auf, die sie mit einem Gewehr in der Hand als Rebellin gegen den Diktator zeigen.

Silvia Broome ist eine Idealistin. Sie übersetzt nicht bloß die wolkigen UN-Texte, in denen von Völkerverständigung, Frieden und Umweltschutz die Rede ist, sondern glaubt auch daran. „Worte“, davon ist sie fest überzeugt, „können mehr erreichen als Gewehrkugeln“. Nicole Kidman spielt die Dolmetscherin mit Verve. Bei der ersten Begegnung mit dem FBI-Agenten Keller fährt sie ihren Bewacher an, weil er sie mit „Madame“ angesprochen hat: „Warum klingen die Leute, die Kanonen tragen, immer wie Cowboys?“

Tobin Keller ist das Gegenteil von Silvia Broome, statt an Rhetorik hält er sich lieber an Fakten. Als US-Beamter bewegt er sich im UN-Gebäude auf exterritorialem Gebiet, das Feld der Diplomatie ist ihm auch privat fremd. Einfühlungsvermögen gehört nicht zu seinen Stärken, aus Zuhören wird gleich eine Verhörsituation. Von Broomes Profession hält er wenig: „Sie spielen beruflich mit Worten.“ Nicole Kidmans Schwung setzt Sean Penn eine fast Robert-Mitchum-artige Schläfrigkeit entgegen, eine Fassade, hinter der er seine Verletzbarkeit tarnt. Ein Paar wie Feuer und Eis: In Hollywood muss daraus eine Romanze werden.

Vor allem eine Tugend lässt „Die Dolmetscherin“ aus der Thriller-Konfektion herausragen: die altmodische Art, mit der Sydney Pollack den Film inszeniert hat. Es gibt zwar Autoverfolgungsjagden und Bombenexplosionen, aber die Spannung eskaliert langsam. Vor 30 Jahren drehte Pollack den großartigen Verschwörungsthriller „Die drei Tage des Condor“ mit Robert Redford. Ästhetisch ist „Die Dolmetscherin“ ganz ähnlich – nur dass die Bösen diesmal nicht aus dem CIA, sondern aus Schwarzafrika stammen. Pollack lässt den Dingen Zeit, auch der Annäherung zwischen Kidman und Penn. Die größte Nähe ist erreicht, als Kidman nach einem Anschlag in ihrem Appartement einschläft und Penn sie dabei vom Haus gegenüber beobachten darf. Das Handy, über das er ihren Atem hört, lässt sie eingeschaltet.

Hitchcock hatte für den „Unsichtbaren Dritten“ noch die UN-Lobby in einem Studio nachbauen lassen müssen, weil er keine Drehgenehmigung erhielt. Pollack, der dem Suspense-Meister in einigen Szenen erkennbar seine Reverenz erweist, bekam als erster Filmregisseur Zugang zu dem UN-Gebäude. „Die Dolmetscherin“ plädiert für Dialog statt Gewalt, das Drehbuch dürfte den UN-Verwaltern gefallen haben. Auch Pollacks Ansichten wirken im Amerika des George W. Bush, das sich um UN-Mehrheiten nur ungern schert, ein wenig altmodisch. Schön altmodisch.

In 23 Berliner Kinos; Originalversion im Cinestar SonyCenter

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