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Kultur: „Regisseure überschätzen sich“

Herr Quander, bei Ihnen in der Staatsoper Unter den Linden kann man jenen Leuten begegnen, die sonst überall in der Alterspyramide der Theater fehlen: Menschen zwischen Mitte 30 und 50. Die scheinen vor allem der aristokratischen Anmutung des Gebäudes wegen zu kommen.

Herr Quander, bei Ihnen in der Staatsoper Unter den Linden kann man jenen Leuten begegnen, die sonst überall in der Alterspyramide der Theater fehlen: Menschen zwischen Mitte 30 und 50. Die scheinen vor allem der aristokratischen Anmutung des Gebäudes wegen zu kommen...

Das glaube ich nicht. Unsere Publikumsuntersuchungen sagen, dass 80 Prozent der Besucher der Qualität der Aufführungen wegen in die Staatsoper kommen. Wenn wir die Statistik betrachten, haben wir bei unseren Berliner Zuschauern eine gleichmäßige Verteilung nach Ost- und Westbezirken...

...wobei in Mitte und Prenzlauer Berg jede Menge Zugezogene aus dem Westen leben...

...andererseits sollte man auch bedenken, dass wir das einzige Opernhaus Berlins sind, das sich nach 1989 völlig neu positionieren musste, sowohl künstlerisch als auch in der Außenwirkung. Deutsche Oper und Komische Oper haben nach der Wende ihre traditionellen Linien weitergeführt. Wir waren in vielem Trendsetter, auch bei der Erhöhung der Preise. Das hat uns Anteile bei der Stammklientel gekostet, aber wir haben so auch Neueinsteiger gewonnen.

Vor allem jene potenten ausländischen Freunde, die sich die horrenden Festtagespreise leisten können!

Unsere Hochpreispolitik bei den Festivals wurde immer sehr kritisiert, weil niemand verstanden hat, welche Idee dahinter steckt. Wir zeigen in der Tat weitgehend dieselben Produktionen in den üblichen Besetzungen, die die Berliner auch übers Jahr sehen können, nur eben in sehr konzentrierter Form, so dass es für auswärtige Gäste interessant wird, dafür extra nach Berlin zu reisen. Wir haben diesen Kundenstamm auf unseren Tourneen aufgebaut, ohne jede Hilfe seitens der Institutionen, die eigentlich dazu da sind, Berlin zu vermarkten. Beim Wagner-Marathon im Frühjahr hatten wir 78 Prozent auswärtige Besucher, die jede Menge Geld nicht nur in unsere Kassen, sondern in die ganze Stadt gebracht haben.

So lange das Geld, das die Festwochen bringen, dazu genutzt wird, Raritäten, Zeitgenössisches oder Barockoper zu finanzieren, ist das ja auch okay. Doch die Balance ist in den letzten Jahren durcheinander geraten.

Das hatte aber allein ökonomische Gründe! Mir war gerade die Öffnung des Hauses immer wichtig, von Open Air Spektakeln auf dem Bebelplatz und in der Waldbühne bis zu den Gastspielen im Hebbel-Theater. Doch zuletzt haben unsere Extra-Einnahmen gerade noch die Tariferhöhungen gedeckt, die uns der Senat verweigert hat. Das waren seit 1996 immerhin fünf Millionen Euro pro Jahr Mehrbelastung – zusätzlich zu den sonstigen Etatkürzungen.

Am Saisonende aber steht ein Plus von sechs Millionen Euro, dank dreier Tourneen und der langen Wagner-Festtage. Trotzdem wurde der geplante Monteverdi-Zyklus gekippt.

Im Operngeschäft muss man Entscheidungen drei bis vier Jahre im Voraus treffen. Die außergewöhnlich hohen Einnahmen dieser Spielzeit haben uns selber überrascht, wenn ich ehrlich bin. Jetzt aber wäre die Pflege der Barockoper wieder möglich. Und ich hoffe auch, dass 2005 wie geplant „Agnes di Hohenstaufen" von Gaspare Spontini herauskommt, dem ersten Generalmusikdirektor der Staatsoper. Meyerbeer, der größte Opernkomponist dieser Stadt, sollte mehr gespielt werden, finde ich, und auch die Werke von Paul Dessau gehören an die Staatsoper. Wie man am Beispiel von Peter Greenaways Inszenierung des „Christophe Colomb" von Milhaud erlebt hat, können auch Werke zu Publikumsrennern werden, von denen es keiner erwartet.

Dass Doris Dörries „Cosi fan tutte" das am besten ausgelastete Stück Ihrer gesamten Amtszeit werden würde, hat Sie sicher überrascht...

... und gefreut: Ich finde es gut, wenn man auch mal im Theater lachen kann. Es gibt so wenig Regisseure, die heute überhaupt noch Komödien machen können. Es geht ja nicht um platten Klamauk, sondern darum, einen Blick für die Absurdität von Situationen zu entwickeln. Ich kam deswegen auf Frau Dörrie, weil ich dies in ihren Filmen auf wunderbare Weise wiederfinde. Ein anderer, an den ich immer gedacht habe, ist natürlich Woody Allen. Ich finde, viele seiner Filmdrehbücher könnten tolle Opernlibretti sein. Aber es hat leider nicht geklappt - obwohl er sich sehr für Oper interessiert, wie er mir vor einigen Jahren gesagt hat. Dann aber kam seine Scheidung, und das Projekt platzte.

Betrachtet man die Riege der Regisseure, die an der Staatsoper gearbeitet haben, fällt einem am ehesten der Sammelbegriff „konservativ" ein.

Angesichts der zwei ästhetisch monokulturell geprägten Konkurrenzhäuser schien es mir angezeigt, möglichst viele unterschiedliche Handschriften Unter den Linden vorzustellen. Ich habe nie Götz Friedrichs Freund Hans Neuenfels gefragt oder Christine Mielitz von der Komischen Oper. Die Hausregisseure der anderen Bühnen waren tabu für mich.

Positiv gesagt: Weil es zwei Regietheater-Tempel bereits gab, haben Sie sich auf die Sängeroper spezialisiert.

Ich war immer der Überzeugung, dass die Basis einer gelungenen Aufführung die hohe musikalische Qualität ist, definiert durch gute Probenarbeit. Ich halte es für eine Fehlentwicklung im deutschen Opernbetrieb, dass sich in den letzten Jahrzehnten ein Übergewicht der Regie herausgebildet hat. An der Deutschen Oper ist unter der Dominanz des großen Regisseurs Friedrich die Musik vernachlässigt worden. Denken Sie nur daran, dass dort auch ein Maazel mal Chefdirigent war, Anfang der 60er Jahre. Der größte strategische Fehler, den Friedrich gemacht hat, war Giuseppe Sinopoli aus dem Haus zu ekeln. Aber er wollte keine anderen Götter neben sich dulden. Da ich selber ja auch schon als Regisseur gearbeitet habe, darf ich das sagen ohne die Zunft zu schmähen: Regisseure überschätzen sich. Wenn Sie im Publikum fragen: Was macht der Regisseur, dann können Ihnen acht von zehn Leuten nicht wirklich antworten. Die wissen, was Sänger und Dirigent machen, aber von der Regiearbeit haben sie nur eine vage Ahnung. Unsere Umfragen belegen, dass die Leute den Sänger viel stärker bewerten als den Regisseur. So gesehen sind übrigens auch Dirigenten heute überbewertet und überbezahlt. Das Publikum will den Sänger auf der Bühne erleben. Wer die „Begleitung" macht, ist erst in der zweiten Linie interessant.

Andererseits: Wenn Barenboim dirigiert, und die Leute keinen der Sänger kennen, kommen sie doch trotzdem.

Nicht automatisch. Wir haben auch Repertoireaufführungen mit Barenboim erlebt, die nicht ausverkauft waren.

Beim Blättern in der Aufführungsstatistik Ihrer Amtszeit fällt auf, dass wenig große Dirigentenn neben Barenboim auftauchen.

Zubin Metha hat zweimal hier gearbeitet, wurde dann aber Chef in München, so dass er keine Zeit mehr hatte. Von Abbado hatten wir gehofft, er würde nach dem „Falstaff" noch eine Produktion betreuen, aber er wollte nicht mehr. Es gibt eben nur ganz wenige große Dirigenten, die viel Oper machen – und die haben alle ihre eigenen Häuser, mit denen sie voll ausgelastet sind. Mit Rattle haben wir zigmal verhandelt, immer ohne Ergebnis. Mit Muti und Levine haben wir geredet, aber die wollen nur im Austausch arbeiten: Wenn sie in Berlin sind, sollte Barenboim so lange in New York respektive Mailand sein. Das wiederum ließ sich mit Barenboims vollem Terminkalender nicht vereinbaren. Wenigstens haben wir Michael Gielen als festen Gastdirigenten im Boot. Und unsere Kapellmeister haben auch immer sehr gute Arbeit geleistet – und tolle Karrieren gemacht: Asher Fish, Simone Young, Philippe Jordan arbeiten weltweit, Sebastian Weigle ist uns aufgrund seiner Liebe zu Berlin erhalten geblieben trotz vieler Angebote.

Sie haben viel Kritik einstecken müssen, weil der Vorhang in der Staatsoper oft geschlossen bleibt.

Nicht täglich zu spielen, ist die einzige Möglichkeit, Repertoireschlamperei zu vermeiden und ein hohes Niveau zu halten. Bühnenorchesterproben erzwingen eben Schließtage. Doch nur so bekommt man die Qualität hin. Darum gibt es vor einer „Parsifal"-Serie drei Schließtage, einen Tag pro Akt wegen der festgelegten Probenlängen. Solange man ein dickes Finanzpolster hat, kann man sagen: Die Opernstadt ist auch montags geöffnet, selbst wenn nur zehn Leute im Saal sitzen. Ich spiele lieber dann, wenn das Publikum auch kommt. Nachfrageorientiert bedeutet dabei, lieber am Wochenende als am Montag, lieber den ganzen Dezember über jeden Tag und dafür seltener im Juni.

Sie haben in Saarbrücken „Turandot" inszeniert und „Hänsel und Gretel", in Berlin „Robert le diable" und „Solimano". Ist die Regiearbeit eine Zukunftsperspektive?

Es ist eine Leidenschaft von mir und ich denke, ich konnte zeigen, dass ich nicht ganz unbegabt bin. Mehr als die vier Produktionen waren bislang nicht drin neben der Intendantentätigkeit. Da ist mein Nachfolger in einer besseren Situation, da er aus einer langen Karriere als Regisseur an ein gut geführtes Haus wechselt. Es scheint mir aus meiner Erfahrung sehr wichtig, dass ein Intendant in irgendeiner Form künstlerisch aktiv ist. Das gibt ihm eine andere Autorität und andere Verbindungen ins Haus hinein. Viele Schwachstellen im Haus konnte ich beispielsweise erst aus der Regieerfahrung im Interesse des Betriebs abstellen.

Das überrascht: In der Fachliteratur gilt der Managerintendant als das zeitgemäße Modell, nicht der Künstlerintendant!

Der Intendant, der überall auf der Welt inszeniert und trotzdem ein Haus hat, ist ein Auslaufmodell. Da war Götz Friedrich wohl der letzte seiner Art. Aber so wie Felsenstein, der praktisch in den 40 Jahren als Chef der Komischen Oper außer im eigenen Haus nicht als Regisseur aktiv war, das scheint mir vorbildhaft. Darin lag nebenbei bemerkt auch das Einmalige des Berliner Musiktheaters: Wenn ich Felsenstein sehen wollte, musste ich an sein Haus kommen. Er war nicht global präsent wie die Stars heutzutage.

Das Gespräch führte Frederik Hanssen

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