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Reichstagsbrand: Alles morsch

Auch nach 75 Jahren ist das Interesse an den damaligen Vorgängen ungebrochen. Bernhard Schulz über die Lehren des Reichstagsbrandes.

Tag für Tag stehen Touristen vor dem Reichstagsgebäude an, um zum spiralförmigen Aufstieg in die Spitze der Glaskuppel eingelassen zu werden. Das von Grund auf renovierte und im Inneren vollständig erneuerte Gebäude trägt keinerlei Spuren des verheerenden Brandes mehr, der vor 75 Jahren gelegt wurde und das Fanal der Machtergreifung Hitlers bildete. Doch das Interesse an den damaligen Vorgängen ist ungebrochen. Es scheint, dass jede Generation sich ein eigenes Bild machen muss von dem, was 1933 ff. geschah. Die kalendarischen Anlässe kehren wieder.

Wie eine Arabeske zum großen Gemälde mutet der Streit um die Urheberschaft des Reichstagsbrandes an. Er wird wohl auf ewig schwelen, lassen sich doch letzte Wahrheiten aus den lückenhaften Dokumenten nicht mehr gewinnen. War der Herumtreiber Marinus van der Lubbe der Einzeltäter, als der er verurteilt und hingerichtet wurde, oder hatten die Nazis selbst den teuflischen Plan, mithilfe eines von ihnen selbst gelegten Brandes den gewünschten Anlass zur Beseitigung des Rechtsstaates zu gewinnen?

Die Mehrzahl der Historiker neigt heute der These von der Alleintäterschaft zu. Vielleicht ist es nicht gar so wichtig, wer der Täter war. Genügt es nicht festzustellen, dass sich Hitler und seine Paladine des Brandes meisterlich zu bedienen wussten, um ihre Herrschaft im Handstreich zu festigen? Und wäre es nicht sinnvoller, das Interesse der Heutigen auf den Verfall und die Selbstpreisgabe der Weimarer Republik zu lenken, deren quälende Agonie im Bewusstsein der Nachgeborenen vom Talmiglanz der „Goldenen Zwanziger“ überstrahlt wird – als ob die Jahre vor und ab 1933 so gar nichts miteinander zu tun hätten?

Seit 1930 besaß die Demokratie keine Mehrheit mehr: eine Republik ohne Republikaner. Die ebenso brutale wie geschickte Technik der Machtsicherung der NSDAP überdeckt die eigentlich hervorzuhebende Tatsache, dass eine Mehrzahl der Deutschen, vor allem der gesamte Staats- und Verwaltungsapparat sich umgehend den Nazis an die Seite stellten. Der Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933 ist das Fanal einer Republik, die wie morscher Zunder verglühte. Mögen auch die hölzernen Bänke des Plenarsaals so grundsolide gewesen sein, dass die Tat eines Einzelnen kaum ausreichend scheint, um sie in Brand zu stecken. Wichtiger ist: Es gab zu wenig Demokraten, die auf ihnen saßen, bevor der Brandstifter kam.

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