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Die größte Installation, die die Stadt je sah. Der verhüllte Reichstag zog 1995 Hunderttausende an.

© Reuters

Reichstagsverhüllung: Chronik eines Sommermärchens

Die Stiftung des ehemaligen Bauunternehmers und Kunstförderers Roland Specker will alle Dokumente von Christos Reichstagsverhüllung nach Berlin holen.

Prinzipiell war die Reichstagsverhüllung ein Live-Act. Wer sie 1995 nicht mit eigenen Augen sehen konnte, der zehrt von den nachgelassenen Dingen: originalen Collagen der Künstler, Aufnahmen des autorisierten Fotografen Wolfgang Volz oder begleitenden Materialien wie Stoffmustern, Stahlrahmen und Urkunden, die das Künstlerpaar Christo und Jeanne- Claude im Laufe des Projekts gesammelt und fast zwei Jahrzehnte lang aufbewahrt hat. 2009 verstarb Jeanne-Claude, Christo wird dieses Jahr 77 Jahre alt. Da scheint es angebracht, sich ernsthaft Gedanken über das Vermächtnis zu machen, das aufs Engste mit Berlin verbunden ist: Rund 400 Exponate gehören zur Geschichte der Reichstagsverhüllung. Roland Specker möchte sie nun nach Berlin holen.

Ende 2011 hat der ehemalige Bauunternehmer und Kunstförderer die Stiftung Dokumentation Verhüllter Reichstag gegründet. In den kommenden zwei Jahren will er jene zehn Millionen Euro einsammeln, die für den Ankauf der Sammlung nötig sind. Erste Kontakte sind geknüpft, Specker wendet sich vorrangig an die Kulturstiftungen großer Unternehmen. Aber auch private Spender haben sich gemeldet, um mit dafür zu sorgen, dass die Materialien rund um die Reichstagsverhüllung nach Berlin kommen.

Specker selbst stieß schon 1985 als Ehrenamtlicher zum Team um Christo und Jeanne-Claude und half bei der Realisierung der ambitionierten Pläne, die damals bei den Bonner Parlamentariern auf Widerstand stießen. Diesmal hat der Privatier vorgesorgt und mächtige Verbündete an seiner Seite. So bekundet Hermann Parzinger als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz schon jetzt Interesse an der möglichen Schenkung, während sich Bundestagspräsident Norbert Lammert auf eine Ausstellung der Dokumente im Reichstag freut. „Das Projekt ist mit Berlin und dem Reichstag verwachsen“, meint Specker. Dass der Ankauf durch die Stiftung gelingen wird, steht für ihn außer Frage. Nach seinen Erfahrungen im Christo-Team, das schon ab 1971 mit den Vorbereitungen beschäftigt war, weiß er allerdings auch, wie zäh der Weg noch werden kann.

Andere Fragen wird man wohl erst nach der Schenkung klären können. Zum Beispiel die Frage, wie man mit jenen Objekten umgehen sollte, die Teil der Verhüllung waren. Sind es performative Reste mit Kunstcharakter wie die Inhalte der Vitrinen von Joseph Beuys oder handelt es sich um Dokumente? Wie verhält es sich mit dem großen verhüllten Modell des Reichstags? Wie muss man beides vonseiten der Restauratoren betrachten? Welche Kosten sind damit verbunden, dies alles zum Teil einer Ausstellung werden zu lassen, falls mit der Schenkung eine Präsentation der Sammlung einhergeht? Und wer ist für die kuratorische Inszenierung verantwortlich – der Bundestag oder die Staatlichen Museen?

Die Reaktion der Stiftung Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz zeigt jedenfalls, wie hoch sie die Verhüllung 17 Jahre nach der Realisierung des Projekts einschätzt. Die Berlinische Galerie mit ihrer ausgesuchten Sammlung zur Kunsthistorie der Stadt wäre schließlich auch eine Adresse gewesen, um dem populären Ereignis einen musealen Rahmen zu geben.

Obgleich Christo und Jeanne-Claude jedes ihrer flüchtigen Projekte mit einer umfangreichen Dokumentation begleiteten, gibt es bislang bloß einen einzigen vergleichbaren Ankauf. 2008 erwarb das Smithsonian American Art Museum das gesamte Material rund um „Running Fence, Sonoma and Marian Counties, California 1972–76” – eine Arbeit mit ähnlich vielen Handzeichnungen, Collagen und Fotografien. 2010 ließ das Museum die Installation in einer Ausstellung noch einmal wieder aufleben.

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