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Kultur: Reif für die Insel

Von Cristina Moles Kaupp Wer Letzter ist, gewinnt? Sonst ist es doch immer umgekehrt?

Von Cristina Moles Kaupp

Wer Letzter ist, gewinnt? Sonst ist es doch immer umgekehrt? Nicht bei „Battle Royale“, hier zählt nur Überleben. Wer sich am schnellsten sein soziales Korsett vom Leibe reißt, hat die besten Chancen. Denn er muss töten, töten, töten. Egal ob Feind, ob Freund oder Geliebte – so will es die Order eines Staates, der seine Jugend disziplinieren will. Japan Anfang des 21. Jahrhunderts.

Ein misantrophisches Szenario hat Kinji Fukasaku hier entworfen. Teenager werden brüsk aus vielleicht noch unschuldigen Träumen gerissen, um sich gegenseitig abzuschlachten. Ein Horrortrip, der nicht nur Japans reale Angst vor seinen renitenten Jüngsten persifliert, sondern auch Traumata des heute 72-jährigen Regisseurs heraufbeschwört. Lehrte man ihn nicht als 15-Jährigen, wie man tötet und Freundschaft vergisst, nur weil auf dem Spielplan der Geschichte gerade der Zweite Weltkrieg stand?

Diese Bilder hat Fukasaku nie vergessen. Sie flossen in seine 60 Filme. B-Pictures sind darunter, Krimis ebenso wie Kriegsserien, Science-Fiction und Horrorstreifen. Längst zählt er zu den Erfolgreichsten Japans, war Vorbild für Tarantino wie John Woo, doch erst mit „Battle Royale“ erfährt Fukasaku international Beachtung – mit erneut entfachenden Debatten über Gewalt und was Jugendlichen zumutbar sei. Gern wird dabei das Wichtigste vergessen: Dass Tabuisierung nichts bringt. Und so bleibt „Battle Royale“ Fukasakus Zielgruppe der 15-Jährigen verwehrt. Obwohl er Gewalt anders thematisiert, obwohl sein Splatter-Trash weniger beklemmend ins Mark fährt als Vergleichbares von Takashi Miike oder Takeshi Kitano. Trotzdem ist „Battle Royale “ kein versöhnliches Alterswerk geworden, eher ein juveniles Aufbegehren. Verstörend, grandios.

Im Nachbeben unzähliger Wirtschaftskrisen hat sich Fukasakus Japan zum totalitären Staat entwickelt, die Menschen drehen durch. Wie der Vater des 15-jährigen Shuya. Hat sich aufgehängt und letzte Parolen auf Klopapier getuscht: „Halt durch Shuya! Du wirst es schaffen“. Bald schon wird sich Shuya an diese Zeilen erinnern. Zählt seine Generation doch zum Heer der Undisziplinierbaren, für die das Battle Royal Act erlassen wurde. Mag das Gesetz zunächst an ein TV-Survivalgame erinnern, steckt doch Perfideres dahinter: die sadistische Rache eines ratlos gewordenen Systems.

Willkürlich gekidnappte Schulklassen werden auf eine militärisch bewachte Insel gebracht. Dort kämpfen sie drei Tage lang, jeder gegen jeden. Nun sind Shuya und seine 41 Mitschüler dran. Zu ihrer adretten Schuluniform tragen sie plötzlich Hightech-Halsbänder, die explodieren, falls einer nicht spurt. Ausgerechnet ihr Klassenlehrer Kitano, jüngst noch von ihnen mit dem Messer attackiert, wird ihnen die grausamen Regeln erklären und seine neue Macht demonstrieren. Schon durchbohrt sein Taschenmesser eine Mädchenstirn. Dann lässt er Proviant aushändigen und Waffen. Chancengleichheit gibt es nicht. Panik bei den Schülern, die wie Laborratten ihre Möglichstes versuchen: Versteckspiel, Verweigerung durch Selbstmord, Verrat, Widerstand per Computer-Hack und selbstgebastelte Bomben. Bis er sich dann doch regt, der Killerinstinkt, und selbst langjährige Freunde nicht verschont. Fukasakus Teenies lernen schnell, legen sich Entschuldigungen parat: unfähige Eltern, verweigerte Liebe, Eifersucht. Shuya und seine Freundin bleiben Ausnahmen und müssen bluten dafür. Bleibt noch das Instrument der Macht: Star Takeshi Kitano in der Rolle des abgestumpften Lehrers. Ein träger Gott des Hasses, der dann doch die letzte Konsequenz verweigert; unwichtig ob aus lebensmüder Laune heraus oder dem versöhnlichen Ende zuliebe. „Rennt“ heißt Fukasakas Botschaft. Und: Nicht immer muss man kämpfen, um zu siegen.

In Berlin nur im Central (OmenglU)

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