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Kultur: Reine Bruchstücke

KLASSIK

Überraschend neue Töne aus dem anheimelnd plüschigen Musikclub im Konzerthaus: Wie lebendig klassische Musik sein kann, führt dort der Pianist Stefan Litwin in seinen Gesprächskonzerten vor. Er nimmt den Notentext akribisch ernst und setzt ihn mit biografischen und Zeitdokumenten in Beziehung. Dem Zuhörer gibt er damit so etwas wie neue Ohren. Gewiss, Beethovens Sonate A-Dur op. 101 klingt zunächst gewöhnungsbedürftig. Alles, was unsere „großen Pianisten“ sonst mit „schönem Ton“ versehen, gestaltet Litwin dünn, entschlackt, sogar spröde. Da zieht der erste Satz ganz ungerührt, ohne die lieb gewordenen Verzögerungen, vorüber – denn der rhythmische Puls ist mindestens so wichtig wie die vorgeschriebene „innige Empfindung“. Und das „Vivace alla marcia“ hat nichts Heroisches mehr, sondern ist eine barocke Musik voller finsterer Dissonanzen, unter denen plötzlich eine Traumwelt reiner Dur-Dreiklänge aufscheint. Um 1816, nach einer tiefen Lebens- und Schaffenskrise, plante Beethoven eine Oper „Bacchus“, in der die Dissonanzen nicht mehr aufgelöst werden sollten – „denn in der heutigen Zeit lässt sich eine verfeinerte Musik nicht mehr denken“. Diese Zeit hieß Restauration unter Metternichs Zensur. Goethes „Werther“ beschreibt eine Traumwelt, welche „die Wände mit bunten Gestalten bemalt, darin man gefangen sitzt“, und so atmet auch Beethovens Sonate im Fortgang schöne Resignation, bis sie im Finalsatz die Bruchstücke einer vergangenen Welt neu montiert zu Gebilden von Schönbergscher Modernität.

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