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Neun Jahre sind genug. Matthias Lilienthal bleibt konsequent. Foto: dpa

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Kultur: Reinhauen, draufhauen, abhauen Matthias Lilienthal gibt das Hebbel am Ufer ab

Als er 2003 das Hebbel am Ufer gründete, hieß es in der Szene: Matthias, hau rein! Jetzt muss man leider sagen: Matthias Lilienthal haut ab.

Als er 2003 das Hebbel am Ufer gründete, hieß es in der Szene: Matthias, hau rein! Jetzt muss man leider sagen: Matthias Lilienthal haut ab. In einem persönlichen Gespräch – man kennt sich aus gemeinsamen Volksbühnen-Tagen – hat er Kulturstaatssekretär André Schmitz mitgeteilt, dass er seinen Vertrag als Chef des HAU über das Jahr 2012 hinaus nicht verlängern will.

Angekündigt hatte er die Entscheidung schon länger, sie kommt nicht wirklich überraschend. Und dann doch. Viele reden vielerlei – und handeln anders. Lilienthal, geboren 1959 in Berlin, gehört zu den konsequentesten Theatermachern des deutschsprachigen Raums, wenn nicht Europas. Und zu den erfindungsreichsten. Als er das Hebbel übernahm, war es eine Ruine, eine traurige periphere Erscheinung. Heute ist das Kreuzberger Theaterkombinat – mit dem HAU 2, der alten Schaubühne, und dem HAU 3, der Studiobühne gegenüber – einer der wichtigsten internationalen Orte für Performancekunst, Tanz, Musiktheater und alle möglichen Mischprojekte. Lilienthal hat ein Stadttheater, ein Hauptstadttheater neuen Typs entwickelt, eine Art permanenten Festivalbetrieb, der von der Überraschung und Überwältigung lebt. Die Marke HAU hat sich schnell durchgesetzt und die Grenzen zwischen Off und etablierten Bühnen nachhaltig und produktiv überwunden. Lilienthal hat Strukturen für die Theaterarbeit im 21. Jahrhundert geschaffen, so wie er zuvor die Castorf’sche Volksbühne als Chefdramaturg entscheidend prägte und das „Theater der Welt“ an Rhein und Ruhr erfolgreich als Experimentierfeld („X Wohnungen“) nutzte. Und er kann Künstler auf den Weg bringen. Christoph Marthaler, Christoph Schlingensief, Rimini Protokoll sind – nicht nur in Berlin – mit dem Namen Lilienthal verbunden.

Das System Lilienthal ist auf Zeit angelegt, die Erschöpfung ist immanent. Wie oft er in den zurückliegenden sieben Jahren um die Welt geflogen ist, weiß er selbst nicht. Wo immer die Scouts und Kuratoren unterwegs sind auf der Suche nach dem Neuen, ob in Buenos Aires, Kairo oder New York, der Mann mit den berühmten Jeans und dem roten T-Shirt ist schon da.

Für künstlerische Nachrufe scheint es zu früh. Lilienthal verspricht für die verbleibenden zwei Jahre einen knalligen Abgang; so wie es vor sieben Jahren begonnen hat. Eines seiner Großprojekte zum Finale ist die Adaption des Monumentalromans „Unendlicher Spaß“ von David Foster Wallace an zwei Dutzend Spielorten in Berlin. So gefällt ihm Theater: lokal, global. Im Übrigen sieht er sich als Schüler des heute schon legendären Intendanten Frank Baumbauer, bei dem er einst in Basel Dramaturg war. Nach der klugen Baumbauer-Regel darf eine Intendanz nie zweistellig werden. Sonst wird es pappig.

Und so macht er nach neun Jahren Schluss. Danach: vielleicht eine längere Pause oder wieder ein schwieriges Haus. „Ich war immer dann am besten, wenn man mir einen Riesenbrocken vor den Latz geknallt hat“, sagt er. Solche Riesendinger stehen in der Berliner Theaterlandschaft reichlich herum. Das HAU zählt ab 2012 dann auch irgendwie zu den Problemhäusern. Lilienthal kann man nicht kopieren, es muss dann jemand das HAU wieder neu erfinden. Mit Matthias Lilienthals mutiger Entscheidung, in zwei Jahren aufzuhören, kommt Bewegung in die Kulturpolitik, die bekanntlich vor allem Personalpolitik ist. Rüdiger Schaper

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