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Autobahnlichter bei Nacht.

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Reisefieber (2): Die Sommerserie: Das gelbe Leuchten

Aufregung, Angst, Abenteuer: Reisen ist der individuelle Ausnahmezustand. An dieser Stelle erzählen wir in den Sommerwochen davon – mit erhöhter Temperatur.

In meiner Jugend hatte die Sehnsucht eine Farbe: ein orangegelbes Leuchten. Fahl funzelte es von einer Peitschenlampe am Rand des westfälischen Dorfes herab, in dem ich lebte. Es war ein Versprechen, der Flimmer der Ferne, wie er auch auf den Boulevards von Madrid oder Lissabon strahlte und auf belgischen Autobahnen, um die Fahrer wachzuhalten, die auf dem Weg in den Süden das Land der Pommes frites durchquerten. Etwa ab 140 km/h zogen sich die belgischen Nachtlichter zu einem langen Neonpfeil zusammen, der geradewegs ins Urlaubsglück zeigte. Mitte der achtziger Jahre hörten wir, in einem VW Käfer oder Fiat Ritmo unterwegs nach Portugal, dazu am liebsten „Road To Nowhere“ von den Talking Heads. Möglichst laut.

Von derlei Neon-Mysterien konnte in unserem Dorf allerdings keine Rede sein. Die Laterne war ein Einzelstück. Wahrscheinlich hätte sie mindestens an einer Bundesstraße stehen müssen und war nur versehentlich hier at the dark end of the street abgestellt worden. Unweit einer Durchgangsstraße, die Richtung Rietberg führte, verschwendete sie ihr Licht an den Provinzasphalt und das Provinzbürgersteigpflaster. Schräg gegenüber befand sich der Lehrerparkplatz der Bühlbusch-Schule. An einer Ampel ging es rechts ab nach Bornholte. Dort konnte man sich nachts, wie ein Freund erzählte, zum Schlafen auf die Straße legen ohne überfahren zu werden. Nach einer langen Party hat der Freund, glaube ich, das tatsächlich einmal wahr gemacht.

Wo Kalkulationen beginnen, endet die Romantik

Manchmal flackerte die Lampe wie eine Kerze vor dem Verlöschen. Aber sie hielt durch. Und spendete Hoffnung. Wer abends mit dem Hund Gassi gehend an ihr stehenblieb oder nachts auf dem Weg zur Diskothek „Flash“ an ihr vorbeifuhr, der wurde mit einer blassgelben Erscheinung beschenkt. Die Welt, so verhieß dieses Licht, reichte nicht bloß bis Eckardsheim und Bielefeld. Dort fing sie überhaupt erst an. Alle Wege führten über die Gütersloher Straße auf die A2 Richtung Dortmund, vorbei am Kamener Kreuz und Aachen, durch das überwirklich taghelle Belgien nach Namur, Lyon und Bordeaux, hinter Bayonne nach Spanien, über Burgos und Salamanca ans Meer. Genauer gesagt: nach Lissabon. 2388 Kilometer. Wenn man auf halber Strecke in den Pyrenäen im Auto übernachtete, hatte das einen Vorteil. Man war sehr früh wieder wach.

Wo Kalkulationen beginnen, endet die Romantik. Belgien hat vor fünf Jahren seine Autobahnbeleuchtung zum größten Teil abgeschaltet. Mindestens 335 000 Lampen auf 150 000 Masten hatten ein Lichtzeichen gesetzt, das noch aus dem Weltall zu sehen war. Allein Wallonien musste für 105 Gigawatt-Stunden Strom 9,5 Millionen Euro pro Jahr zahlen. Die EU kritisierte den gewaltigen Energieverbrauch. Und die Laterne in meinem Dorf? Strahlt lange nicht mehr. Viele meiner Schulfreunde sind weggezogen. Der Letzte machte das Licht aus.

Bisher in der Serie erschienen: Träge Tropen

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