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Ein Werbeplakat der Deutschen Bahn, um 1950.

© DHM

Reiseliteratur: Zum Ferienbeginn: Fünf Reiselektüren-Empfehlungen

Lesende sind Globetrotter. Sie wollen gern in ferne Zeiten und an fremde Gestade entführt werden. Fünf Lektüre-Tipps der Redaktion.

SPANIEN

Von wegen südspanischer Glutofen. Andalusien kann sehr kalt sein. In der Sierra Sur klirren die Winter vor Frost. „Und dann pfiff von den Bergen ein feiner, grausamer Wind, so hell wie Glas, der in den Straßen keinen Staub aufwirbelte“, heißt es schneidend schön im ersten Kapitel von Almudena Grandes’ Roman „Der Feind meines Vaters(Hanser Verlag, 400 S., 19,90 €). Er ist der zweite Teil einer auf sechs Bände angelegten literarischen Aufarbeitung des Franco-Regimes, in der die Bestsellerautorin historische Figuren und Ereignisse mit fiktivem Personal mischt.

Nino lebt 1947 als Sohn eines regimetreuen Polizisten in der Kaserne eines kleinen Kaffs. Er ist erst neun, aber ausgesprochen helle und erkennt, dass sein geheimnisvoller neuer Freund Pepe, der in einer alten Mühle lebt, nicht nur ein Portugiese, sondern ein „Roter“, ein Widerstandskämpfer ist, der die Verbindung zu seinen vor dem Polizeiterror in die Berge geflohenen Genossen hält. Anfangs glaubt Nino, sie seien alle Banditen, wie die Propaganda es lehrt. Drei Jahre später hat er genug Gewalt gesehen und durch die Kasernenwände gehört, um es besser zu wissen. Almudena Grandes erzählt packend vom Erwachsenwerden in der bedrückenden Stimmung eines restriktiven Systems, von Ninos Dorfleben, seinen Gewissensnöten, von Bergwintern und Bergsommern. In denen ist die Witterung so extrem wie im Winter. „Die Leute sagen immer, in Andalusien sei es bloß warm, aber in meinem Dorf schwitzen wir uns im August zu Tode“, erzählt Nino. Die Hitze sei fest und metallisch – „wie ein Hammer aus Flammen auf dem Kopf“. Südspanischer Glutofen, stimmt also doch. Gunda Bartels

AMERIKA

Es gibt Menschen, die setzt man nur auf eine Fähre oder einen Deich, und schon geht’s ihnen gut. Schon atmen sie die Freiheit, die nach Salzluft schmeckt und spüren, wenn auch sehr fern, etwas vom Sog der Erinnerung an eine Zeit, als es noch keine Menschen gab und die Fische aus dem Wasser stiegen, um sich in das Abenteuer der Evolution zu stürzen. Der Ausgang ist nicht unbekannt, und irgendwo haben diese Menschen in ihrem Körper ein Organ, das von den zurückgebildeten Kiemen abstammt und sich in der Nähe von größerem Wasser bemerkbar macht.

John Marr gehört zu dieser Spezies. Er verkörpert sie grandios – und rettungslos. Marr ist ein Seemann, das heißt, er war es. Nun lebt er auf dem Land, in den Weiten der nordamerikanischen Prärie, die er mit dem „Bett eines ausgetrockneten Meeres“ vergleicht. Herman Melville hat John Marr erschaffen, einen Charakter, so stark wie Ahab, der Waljäger. „John Marr und andere Matrosen“ finden sich im wunderbaren Melville-Band des Mare-Verlags (übersetzt und herausgegeben von Alexander Pechmann, 160 S., 24 €), der fast zu fein und edel ist, um das Buch mit an den Strand zu nehmen. Die Zeichnungen von Pascal Cloetta sind zart und zauberhaft. Die nautisch erprobte Übersetzung von Alexander Pechmann schwimmt auch bei Melvilles Fisch- und Vogelgedichten obenauf. Und wer’s nicht glaubt, wer Sehnsucht hat nach dem „Moby Dick“-Dichter im Original, liest das Bändchen eben zwei Mal. Auf Englisch und auf Deutsch. Was John Marrs schreckliches Leiden nicht leichter, nur intensiver macht. Eine Lektüre, nach der man sich kräftig was hinter die Kiemen kippt. So mächtig wogt das innere Meer. Rüdiger Schaper

ITALIEN

Es gibt kaum eine italienische Stadt, in der nicht eine Piazza, eine Straße oder wenigstens eine Brücke nach Giuseppe Garibaldi benannt wäre. Der Held des Risorgimento, der Einigungsbewegung des 19. Jahrhunderts, wird bis heute als größtes Nationalidol verehrt. Mit seiner Eroberung des Südens legte er die Grundlage für das moderne Italien, doch zufrieden mit seinem Triumph war er nicht. „Zeit meines Lebens träumte ich von einem ganz anderen Italien, nicht von dem verarmten und gedemütigten Land, das heute vom Abschaum der Nation regiert wird“, notierte er kurz vor seinem Tod.

Der britische Schriftsteller David Gilmour erkennt im Garibaldi-Kult das Symptom eines unaufrichtigen, trügerischen Patriotismus. Auch über 150 Jahre nach der Ausrufung ihrer Unabhängigkeit – so das Fazit seines fulminanten Buchs „Auf der Suche nach Italien“ (Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart. Klett-Cotta, 464 S., 27,95 €) – sei es den Italienern nicht gelungen, einen erfolgreichen Nationalstaat zu formen. Der Regionalismus ist zu ausgeprägt – und der Gegensatz zwischen dem reichen, industriellen Norden und dem armen, immer noch agrarisch geprägten Süden zu groß.

Goethe hat Italien als Land der Glückseligkeit gefeiert. Gilmour teilt diesen Enthusiasmus, seine bis zu den Etruskern zurückreichende Kulturgeschichte ist eine große Liebeserklärung. Aber er schweigt auch nicht über die Schattenseiten. In keinem anderen europäischen Land entstehen mehr Schwarzbauten, zwischen 1990 und 2005 wurden zwei Millionen Hektar Land zubetoniert, in Kalabrien und der Lombardei sind ganze historisch gewachsene Landschaften verschwunden. Italien ist eine bedrohte Schönheit. Christian Schröder

Mehr zur Ausstellung mit Tourismus-Plakaten im DHM, siehe hier

Lust auf Hitze? Ein Afrika-Geiselkrimi und ein Buch über die Copacabana

SCHWARZAFRIKA

Eine Odyssee, ein Höllentrip mit Menschenraub, Mord und alles versengender Sonne. Kurt, ein Frankfurter Arzt, will weg, ganz weit weg, seine Frau hat sich das Leben genommen, jetzt schippert er mit dem besten Freund Richtung Komoren. Am Golf von Aden wird die Yacht von Piraten gekapert, die beiden landen direkt im Herzen der Finsternis. In einer schaukelnden Feluke, einer versifften Höhle, einem elenden Militärstützpunkt voller räudiger Unholde, auf endlosen Pick-up-Konvois über staubige Pisten. „Du bist im Westen geboren. Glück gehabt. Aber deine Wiedergeburt findet soeben in Afrika statt“, sagt ein Peiniger. Das Geiselgeschäft läuft schlecht, das Lösegeld lässt auf sich warten. Kurt kann entkommen und gelangt mit einem weiteren Leidensgefährten und Afrika-Kenner nach Darfur, in einem Flüchtlingstreck des Roten Kreuzes.

Schwarzafrika, eine „Erde wie nach dem Urknall“, schreibt Yasmina Khadra in seinem Roman „Die Landkarte der Finsternis“ (Aus dem Französischen von Regina Keil-Sagawe, Ullstein, 332 S., 19,99 €). Der in Paris lebende arabische Erfolgsautor hat ein naturbildersattes Krimi-Melodram verfasst, das die gängigen Schwarzafrika-Bilder mit glühender Hassliebe bedient – und konterkariert. Die Entführer sind Elendsgestalten, denen Mitleid gebührt; Soma, der brutalste, entpuppt sich als Dichter, der einst dunkelglänzende Verse schrieb. Die Wüste, die Lavaströme der Hitze, die spiegelnde Luft, die nackte Verzweiflung: Schönheit und Schrecken fallen in eins. Nur dass die Ressentiments des Westens, Armut, Ausbeutung, Mut und Ambivalenz der NGOs ständig in den Dialogen ausdiskutiert werden, schwächt die Kraft der Erzählung. Und das seichte Happy-End auch.Christiane Peitz

BRASILIEN

Brasilien hat 8000 Kilometer Strand – und die Copacabana. Das Viertel ist zwar nur acht Quadratkilometer klein, doch die bloße Erwähnung seine Namens ruft in der kollektiven Vorstellung eine Utopie wach. Darin erscheinen leicht bekleidete, goldgebräunte, fröhliche Menschen vor sonnendurchfluteter Strandkulisse. Dawid Danilo Bartelt nennt die Copacabana einen „Sehnsuchtsort“, der in Europa eine schwerelose Freizeitwelt verspricht und in Brasilien für das Ideal von „Rassendemokratie“ und klassenloser Gesellschaft steht. In der Badehose sind alle gleich.

Bartelt hat mit "Copacabana. Biographie eines Sehnsuchtsortes" (Wagenbach Verlag, 208 S., 10,90 €) ein überfälliges Porträt geschrieben. Der Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Rio de Janeiro rekapituliert anhand der Stadt und ihres bekanntesten Strandes die Sozialgeschichte Brasiliens. Wie die Einwohner Rios dem Meer, von dem sie nichts Gutes erwarteten, jahrhundertelang den Rücken zuwandten. Wie die Copacabana, lange nur eine Wildnis hinter hohen Felsen, Ende des 19. Jahrhunderts von der Bourgeoisie entdeckt wurde, die aus dem stickigen Zentrum zu entkommen suchte. Wie sie eine neue Musik und eine neue Körperkultur hervorbrachte, Bikini und Bossa Nova. In keinem anderen Stadtteil Rios gibt es heute mehr Apotheken und Geschäfte für Orthopädiebedarf. Denn heute ist er ein Seniorenviertel, ein Drittel der Bewohner ist älter als 60. Die Zukunft, so Bartelt, liegt wohl in den Favelas, in denen Zehntausende auf den Hügeln rund um die berühmteste Bucht der Welt wohnen. Vom Strand aus sind sie unsichtbar. Philipp Lichterbeck

Mehr zur Ausstellung mit Tourismus-Plakaten im Deutschen Historischen Museum siehe hier

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