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Religion: Die Überläufer

Wohin sie sich auch wandten: Religiöse Konvertiten waren schon immer verdächtig. Einst galt der Übrtritt zum Katholizismus als höchst verdächtig. Denn das führe zu "Fanatismus und Kopfhängerei".

Konvertiten sind anstrengend. Als der preußische Maler-Stipendiat und Pastorensohn Wilhelm Hensel im Winter 1823 seiner zur katholischen Kirche übergetretenen Schwester Luise aus Rom einen offenherzigen Brief schreibt, beginnt er mit dem Bekenntnis „Gelobt sei Jesus Christus“. Eigentlich hat es Luise zu diesem Zeitpunkt schon fast geschafft, den Bruder von ihrem Weg zu überzeugen. Nun gesteht er ihr Probleme, die sich vor seiner Abreise in Berlin auftaten: Er sei verliebt in ein Mädchen aus jüdischem Hause, das als Kind getauft wurde, dessen Eltern erst im Vorjahr diesen Schritt getan hätten; beides werde der Oma, die einen christianisierten Sohn verstoßen habe, verheimlicht. Mit den Eltern sei er spät abends in Glaubensfragen aneinandergeraten: Korrespondenz mit der Tochter werde ihm verboten, solange er sein Konversionsprojekt nicht aufgebe, „da Katholizismus allemal zu Fanatismus und Kopfhängerei führe“. Die „sonst treffliche und geistreiche“ Mutter schaue wohl auf „Ehre und Namen der Welt“. Nach dem langen Disput sei sie von neunstündigem Nasenbluten heimgesucht worden!

Konvertiten sind selten beliebt – nicht nur, wo der Loyalitätszweifel wie in den vergangenen Tagen zum Terrorismusverdacht kulminiert. Gleichwohl gibt es aus Sicht der Mehrheit, die den Trampelpfad nie verlässt, gute und böse Konvertiten. Die Vernünftigen übernehmen das dominierende Credo. Die Verrückten wählen freiwillig das Los der Minderheit!

Der katholische Glauben war im 19. Jahrhundert in Preußen sehr supekt

Die konvertierten Eheleute, vor denen sich Wilhelm Hensel 1823 als Schwiegersohn qualifizieren wollte, hießen Mendelssohn Bartholdy: Seinen „christlichen“ Zweitnamen hatte Abraham, ein Sohn des Philosophen Moses Mendelssohn, mit der Taufe angenommen. Entscheidend dafür ist sein Entschluss, die Kinder vor Diskriminierung zu bewahren. Katholisch werden hieße in Preußen: die Staatskonfession aufzugeben, sich wieder angreifbar zu machen und einen obskuren Glauben zu akzeptieren, der als fast so rückschrittlich gilt wie das abgelegte Judentum. Doch nicht alle Kinder des Moses teilen die Haltung ihres Bruders. Zwei bleiben der Synagoge treu; zwei werden katholisch, ein Bruder wird frommer Protestant – und Freimaurer. Als freilich, acht Jahre nach Wilhelm Hensels Gretchenfrage, Abrahams Sohn, der Komponist, von Anhängern der frühsozialistischen Saint-Simonisten-Sekte in Paris missioniert wird, reagiert er wie sein Vater, im Sinne bürgerlicher Anpassung: Abgestoßen vom Sendungsbewusstsein und vom freien Sexleben der autoritär geführten Welterlöser, bricht Felix, geschockt durch eine Polizeirazzia, seinen Kontakt mit den religiös-politischen Fanatikern ab.

In jeder dieser Übertrittsgeschichten finden sich individuelle Motive. Es lohnt sich, bei Konvertiten genau hinzusehen. „Wenn man von Mesopotamien nach Ägypten einwanderte, konvertierte man nicht, man assimiliert sich der anderen Kultur, der dortigen Götterverehrung,“ sagt der Ägyptologe Jan Assmann auf die Frage, ob man sich vormals zum Polytheismus hätte „bekehren“ können. Ist der Mensch ein Chamäleon? Politische „Bekehrungen“ wie die Übertritte des Hugenotten-Fürsten Heinrich von Navarra zur katholischen Konfession (1572/1593; legendärer Kommentar: „Paris ist eine Messe wert“) widerspiegeln noch die Verflechtung von Religion und Staat. Allerdings begegnen individuelle Gewissensdramen bereits im Altertum (Augustinus, um 386), im Spätmittelalter (Martin Luther, 1505) oder in der Neuzeit (Blaise Pascal, 1654). Später wandeln sich Relationen zwischen dem „autonomen“ Individuum und seinem familiären/gesellschaftlichem Kollektiv, einerseits.

Konvertiten provozieren Misstrauen

Andererseits radikalisiert sich – erstmals mit den ethnischen Säuberungen der Conquista auf der iberischen Halbinsel, mit der Durchsetzung einer nationalstaatlich-christlichen Leitkultur – der gesellschaftliche Anspruch auf das Einheitsbekenntnis und inquisitorisch verbriefte Loyalität. So wird die Bekenntnis-Echtheit iberischer Conversos hinterfragt: Zur Abwehr einer Unterwanderung konstruiert man biologische Argumente, Gesetze zur „Reinheit des Blutes“ in Staats- und Kirchen-Institutionen. Konvertiten, die sich dem Bekenntnis einer kulturell verunsicherten Mehrheitsgesellschaft anschließen, provozieren Misstrauen.

Wechselbälger sind den Trampelpfad-Läufern unheimlich. Normale Leute tragen ihre biografischen Brüche nicht an die Öffentlichkeit. Übertritte aus der festen Burg der Dominanz ins Lager der Minorität schüren die Angst der Mehrheit vor eigener kultureller Schwäche erst recht: Der Islam islamisiert; die Kirchen fürchten, wenn sie missionieren, intolerant zu scheinen. Rationale Gründe mag die Trampelpfad-Mehrheit als Erklärung für einen Wechsel in den Minderheits-Glauben nicht mehr erkennen, nur noch die Heiratskonversion und spirituelle oder psychologische Motive, was für Skeptiker dasselbe ist. Wer eine Religion wählt, deren Fortschrittsfähigkeit – wegen „Fanatismus und Kopfhängerei“ – in Frage steht, macht sich verdächtig.

Nennen wir das Psycho-Phänomen Seeräuber-Jenny-Konversion: Brechts Möchtegern-Piratenbraut träumt am Spültisch von ihrem Putsch bei Ankunft des großen Piratenschiffs, von der Köpfung aller Beleidiger. Wo gute Bürger sich für Lebensbrüche „der Anderen“ interessierten, ginge der Zusammenprall von Milieus oder Kulturen dagegen vielleicht noch glimpflich ab, mit Nasenbluten. Aber Umdenken ist anstrengend.

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