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Kultur: "Religion in Berlin": Internet und letzte Dinge

Es klingt dramatisch. "Religion in Berlin" heißt das Thema im Französischen Dom, gestellt von der "Deutschen Nationalstiftung".

Es klingt dramatisch. "Religion in Berlin" heißt das Thema im Französischen Dom, gestellt von der "Deutschen Nationalstiftung". Eine Diskussionsrunde "Religion in Mekka" wäre auch ein bedenkliches Zeichen. Doch Johannes Rau scheint es nicht zu spüren. Über 2000 Treffer fänden sich im Internet für die Verbindung von Religion und Berlin, erklärt ein wenig virtuell der Bundespräsident. Salomon Korn von der Jüdischen Gemeinde Frankfurt blickt nachdenklich auf die Dom-Orgel. Er traut dem Internet nicht in religiösen Dingen. Er hat zwei Söhne, die Informatiker wurden. Nachdem sie das Internet kannten, glaubten sie an Gott. Jetzt sind sie schon religiöser als Korn selbst. Vielleicht machen Informatiker dieselben Erfahrungen wie einst Ludwig Wittgenstein mit der Logik: Wenn alle Fragen der Wissenschaft beantwortet sind, sind unsere Lebensprobleme noch nicht einmal berührt.

Anfang und Ende und der postlogische Wittgenstein. Hat denn irgendwer das Deutungsmonopol der Religionen in puncto "letzte Dinge" wirklich brechen können? Trotzdem sind achtzig Prozent der Menschen im Osten "ohne religiöse Bindung", dreizehn Prozent im Westen. Der Moslem Burhan Kesici lächelt kaum merklich auf dem Podium. Als Moslem kann man aktiv oder sehr zurückhaltend sein, aber ein nichtmoslemischer Moslem?

Im Osten fehlt, was Thomas Mann einst das Gottesbürgertum nannte. Religion als traditionelle Umrahmung des Lebens. Der DDR-Atheismus ist die Folge eines Traditionsbruchs. Kardinal Sterzinsky nimmt ihn nach vierzig Jahren Seelsorge jetzt überall wahr. Jugendliche hätten ein tiefes Misstrauen gegen alles, was institutionalisiert ist, und Ansprüche stellt. Obwohl sie die religiöse Dimension des Lebens durchaus spüren. - Es gibt Studien, sagt Sterzinskys evangelischer Amtskollege Bischof Wolfgang Huber, nach denen Kirchenmitglieder auf die Frage, ob Gott ihnen wichtig ist mit "Nein" antworten und Ungläubige mit "Ja". - Nur wenn man merkt, dass Gott fehlt, kann man darum schon an ihn glauben? Und das Angebot, jeder dürfe persönliche Beziehungen zum Weltgrund aufnehmen - klingt es nicht nach ultimativer Weltgrund-Überforderung?

Über diese Brücke sind frühere Generationen immer schon gegangen. Durch Erziehung. Jetzt muss jeder allein hinüber. Manche haben sich einen solchen Zustand erhofft. Kierkegaard zum Beispiel. Dass es einmal nur noch Christen gäbe, die wirklich Christen sein wollen! - Burhan Kesici, der Moslem, lehnt sich zurück. Christen und Juden haben doch seltsame Probleme. Das Forum "Religion in Berlin" wandelt sich zur Architektenrunde. Man spricht übers Brückenbauen. Bischof Huber schlägt vor, Kirche solle "eine plausible Gemeinschaft" werden, weniger Institution. Salomon Korn sagt, genau wie seine Eltern einst zu ihm: Erst sollt ihr wissen. Dann könnt ihr entscheiden, ob ihr auch glauben wollt! - Kardinal Sterzinsky sieht ihn mit leisem Zweifel an. Alle ahnen, das Religionsproblem heute ist längst auch ein Bildungsproblem. Aber über die Gesamt-Brücke "Lebensgestaltung-Ethik-Religion" will keiner hier gehen. Zu flächig, findet Bischof Huber.

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