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Kreuzgang. An Karfreitag feiert die Christenheit den Märtyrertod Jesu.

© dpa

Religion: Unschuldslamm und Sündenbock

Götter fordern Opfer. Der biblische Gott opferte sogar seinen eigenen Sohn, ließ ihn foltern und kreuzigen. Aber nicht nur das christliche Osterfest, auch andere Religionen kennen Opferriten und Menschenopfer. Muss das eigentlich sein?

Von Caroline Fetscher

„Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab“, heißt es im Evangelium des Johannes. Ein Skandal: Der Vater opfert das Leben seines Sohnes. Noch dazu eines Sohnes, der als Unschuldslamm auf die Welt kam, geboren von einer unberührten Frau. Dieser Gott kennt da gar nichts. Er lässt den Sohn zu Tode foltern und wiederauferstehen, auf dass alle, die an ihn glauben, „das ewige Leben haben“, wie der Evangelist festhielt. Alle werden instrumentalisiert in diesem Plan, der antikoloniale, jüdische Rebell Jesus, sein Verleugner Petrus sowie Pontius Pilatus, Roms Statthalter in Judäa. Im neutestamentlichen Narrativ wird suggeriert: Es musste so sein.

Nirgends erhält das Skandalon eines Menschenopfers höhere Dignität als im Kreuzestod von Jesus, der dadurch zum Christus wird. Gleichwohl, das Todesopfer – ob als Verkehrs- oder Kriegsopfer – klingt für moderne Ohren kaum noch hinnehmbar. Wo von menschlichen Opfern die Rede ist, wird der humanitäre Gegenimpuls geweckt: Es gilt sie möglichst zu vermeiden oder doch zu vermindern. Menschenopfer sind archaisch, der Kreuzestod war eine barbarische Gräueltat.

Die Götter, ob sie in Gruppen auftreten oder mit dem Anspruch auf monotheistische Alleinherrschaft, zeigten sich allemal fordernd, wenn es ans Opfern ging. Gaben darzubringen, die die Gottheit günstig stimmen, sie preisen, Sühnezeichen setzen oder überhaupt die Welt am Laufen halten, das zählt in nahezu sämtlichen Kulten zur Pflicht. Zorn und Strafe der Gottheit äußern sich in Gewittern, Erdbeben, Fluten, Seuchen und vielerlei mehr. Bei Regelverstößen steht göttlicher Zorn zu befürchten. Auch das ultimative Opfer, das Menschenopfer, spielte vielerorts eine Rolle, etwa beim Infantizid der Phönizier – wobei dessen Ausmaß und Motive wissenschaftlich umstritten sind.

Auf Abrahams Bereitschaft, den Sohn Isaak zu opfern, reagierte Gott im 1. Buch Mose gnädig und ließ einen Hammel als Ersatzopfer zu. Nach diesem zivilisierenden Schritt, einem New Deal mit der Gottheit, wird der Sündenbock zulässig. Rührend die Anweisung zu dessen Gebrauch im 3. Buch Mose: Während Aaron seine Hände auf den Kopf eines Ziegenbocks legt, soll er die Verfehlungen der Gruppe bekennen, dann das Tier fortjagen: „Dass also der Bock alle ihre Missetat auf sich in eine Wildnis trage; und er lasse ihn in die Wüste.“ Schön dargestellte Dramaturgie der projektiven Abspaltung: Mit dem Bock verschwinden auch unsere Sünden in der Wüste. Dass der Bock die Sünden trägt, als seien es seine, wird zur psychischen Realität, seine Rolle als Opfer wird plausibel gemacht. Diese Dynamik beleuchtet, warum ausgerechnet tatsächliche Opfer oft zu Sündenböcken werden. In der Projektion der Täter sind sie an ihrem Opferstatus selber schuld.

An das rituelle Verzehren des Opfertiers erinnert noch der kannibalistisch anmutende Ritus des Abendmahls – „dies ist mein Fleisch, dies ist mein Blut“. Am Karfreitag wird in katholischen Kirchen das Weihwasserbecken geleert, denn das letztgültige Opfer ist dargebracht, Leib und Licht sind ausgelöscht, die Quelle ist versiegt. Ab Mitternacht am Ostersonntag, auf dem Weg zur Auferstehung, wird alles erneuert: Weihwasser, Lichter, Taufversprechen. So radikale wie paradoxe Wandlungen vollziehen sich mit der Menschwerdung der Gottheit, da hilft nur der Hinweis auf das Geheimnis des Glaubens. Agnostiker werden sich mit den Widersprüchen des Narrativs nicht zufriedengeben. Doch auch Lutheraner und sogar einige Katholiken erheben Einspruch gegen die Gleichung von Kreuz und Sühne. Der evangelische Bischof Wolfgang Huber erklärte, man müsse im Kreuzestod keine „zwangsläufig geschuldete Sühneleistung zur Besänftigung eines zornigen Gottes“ sehen. Es handle sich vielmehr um eine freiwillige, aus Liebe zu Gott „vollzogene Selbsthingabe“.

Manche Theologen erklären die grausige Kreuzigung heute sogar für religiös schlichtweg „nicht notwendig“. Dahinter steckt der Gedanke, ein gütiger, verzeihender Gott habe Folter nicht nötig. Jesus selber hatte seinen Foltertod nicht mit Sühnebedeutung aufgeladen, sondern schlicht erklärt: „Welchen ihr die Sünden vergebt, denen sind sie vergeben.“ Das ist doch ein Wort.

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