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Ehrfurcht, über die Ohren eingehaucht – und gleich wieder verweht? Besucher vor einem Ausschnitt des Pergamon-Frieses.

© Franka Bruns /picture alliance / AP Photo

Renovierung des Pergamonmuseums in Berlin: Pergamon-Altar wird jahrelang nicht zu sehen sein

Wegen Renovierung geschlossen: Für mindestens fünf Jahre wird der Pergamon-Altar nicht zu sehen sein. Da bleibt nur eins: Hingehen, bevor es zu spät ist – doch bitte mit offenen Augen!

Im Louvre, im Prado und der Eremitage greifen sie sich an den Kopf. Das Pergamonmuseum wird für fünf Jahre (mindestens) teilweise geschlossen. Es geht um die Beseitigung von Bauschäden und Schimmel hinter den Friesplatten des berühmten Altars. Am 28. September ist der letzte Tag, sich in die jetzt schon lange Schlange am schwer zu entdeckenden Seiteneingang einzureihen. Die fünf Jahre sind länger, als eine aus dem Ruder gelaufene Menschheit brauchte, um den Ersten Weltkrieg abzuwickeln und das alte Europa zum Einsturz zu bringen. Berlin strebt nach einem neuen Rekord.

Nach dem Scheitern der ehemals eindrucksvollsten Baustelle Europas zum heutigen Potsdamer Platz, einer maßstabsverkleinerten Halluzination von Weltstadtkulisse in den Dimensionen einer Urbanität heuchelnden architektonischen Minigolfanlage, nach der Platzierung des Alexa, eines grotesken roten Albtraums zwischen den eleganten Peter-Behrens-Bauten und dem nicht minder überzeugenden DDR-Juwel des heutigen Berliner Congress Centers am Alexanderplatz, nach den Orgien der Unfähigkeit beim Flughafen Berlin Brandenburg, überzieht die Stadt das historische Berlin mit einer Baustellen-Großoffensive, deren Verhüllungsphilosophie unweigerlich auf eine Repräsentationskrise verweist. Man möchte in Preußens Größe einziehen, aber sich nicht als Nachmieter zu erkennen geben, weil das zu dem Missverständnis führen könnte, man hätte mit dem Ei auch die Henne bezogen. Also entschließt man sich zur Devise: Was du ererbt von deinen Vätern, renovier es, um es zu besitzen.

Pergamonmuseum bietet virtuelle Lösung an

Dazu muss man es aber erst einmal dem Blick der Öffentlichkeit entreißen und die Zugangswege blockieren, schließlich handelt es sich um einen Akt der Okkupation. Der Verhüllung folgt die Inbesitznahme durch die Installierung neuester Software und die Aufbringung modernster Isoliertechniken. Die Tierpräparatoren und die von den Investoren vorgeschickten Gebäudepräparatoren haben gemeinsam, dass sie ihre Objekte erst mit etwas ausstopfen können, wenn das Erlöschen des Lebens gewährleistet ist. Die einen mit Holzwolle, die anderen mit Investment-Kapital. Das gilt nicht nur für die Sammlerstücke preußischer Baumeister, sondern für ganze Stadtteile.

Das Pergamonmuseum, unvergleichliches Schatzhaus auf einer unvergleichlichen Schatzinsel, offeriert den Ausgesperrten als Ersatz die medialen Illusionen des Panoramen- und Fassadenbauers Yadegar Asisi. Nicht das einzig Erschreckende daran ist, dass das einleuchtet. Die virtuellen Lösungen und die medialen Surrogate ersetzen ja sogar beim Sex den direkten Kontakt mit dem Gesuchten. Unter dem Strich ist das aber trotzdem so, als würde der Londoner Tower statt der Britischen Kronjuwelen ein Haus weiter die Besichtigung von Modeschmuck aus Pforzheim empfehlen.

Das legt natürlich die Frage nahe: Wird das Original überhaupt noch gebraucht? Die Museumsbesucher sind ja bereits in vielfacher Weise vom Kunstwerk abgeschirmt. Audioguides, Displays und Tablets schieben sich zwischen die Kunst und ihre direkte, selbstbestimmte Wahrnehmung und begradigen die Erfahrung, das Erkennen und das auf beide zuführende Denken zur kürzesten Strecke zwischen den Punkten A und B, wo die Betrachtung doch Zeit und Elastizität bräuchte, um die eigene Wahrnehmung scharf zu stellen und schließlich mit der Genugtuung der persönlichen Bedeutung beschenkt zu werden.

Der Tanz mit Ohrenschützern und Screens vor den Augen

Viele der heute in ihre Gängelung geradezu vernarrten Menschen empfinden dies nicht als Belästigung, sondern als Erlösung. Was habe ich mir bei dem, was ich sehe, zu denken, und was stünde mir schlimmstenfalls ins Haus, wenn ich nicht auf Schritt und Tritt vor der Lücke zwischen Zug und Bahnsteigkante gewarnt würde oder erbarmungslos bei jedem Einkauf gefragt, ob ich Treueherzen sammle. Sie denken gar nicht daran, das zu vermissen, was sie nicht auf dem Schirm haben.

Dabei sind die Texte der Guides auf der Museumsinsel, gemessen an ihrer Knappheit, von durchaus hoher Qualität, auch wenn sie die Kopfhörer wie ferngesteuert durch die Säle lenken und sie einreihen ins hochartifizielle Stop-and-go der bunten Schar, deren anderer Teil mit hoch erhobenen Armen sich im Kreis dreht und es dem Bildschirm überlässt, das zu sehen, wofür man mit den eigenen Augen gerade nicht den Nerv hat. Der narkotische Tanz im Freizeitkostüm mit digitalen Ohrenschützern und Screens vor den Augen wird inzwischen in allen Museen der Welt getanzt.

Die Tablets und Smartphones sind die neuesten Waffen gegen das fotografierte Objekt. Tausend Schuss pro Sekunde. Anschließend werden die Bilder mit dem Finger solange über den Rand der Displays geschubst, bis die ewige Vergessenheit sich ihrer erbarmt. Die verabreichten Informationen, die die Kopfhörer menuettartig auf die Kunstwerke zurauschen lässt und nach kurzem Erstarren von dort wieder absaugt, sind gespickt mit den Sensationalismen: das Größte, das Älteste, das Schwerste, das Kostbarste, ungeachtet der Tatsache, dass die Kunst sich nicht um Maße und Gewichte schert.

Wie kann man das Schauen mit Wissen und Schauen ohne Wissen versöhnen?

Die 120 zweieinhalb Meter hohen Reliefplatten des Pergamon-Frieses, von denen jede 2,2 Tonnen wiegt, und die demselben Konstruktionsprinzip folgen wie die ähnlich schweren, ähnlich proportionierten und sogar ähnlich montierten L-Elemente der Berliner Mauer, einmal eben aus Marmor, einmal aus Beton. Bei den Reliefplatten des Frieses auf 113 Metern Gesamtlänge kommt es tatsächlich darauf an, was auf ihnen in welcher Weise dargestellt ist, egal wie hoch und wie schwer die Steine sind.

Der Pergamon-Altar und seine Gigantomachie, entstanden in der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr., sind geradezu trotz ihrer Monumentalität eine der phänomenalsten Schöpfungen der Kunst überhaupt. 1879 konstatierte der Ingenieur, Architekt und Archäologe Carl Humann, der die göttlichen Kämpfer buchstäblich im letzten Moment den türkischen Kalkmühlen entreißen konnte und der in Berlin, nach vertraglicher Absprache mit den gerade schwächelnden Osmanen, die Grabungen und die Transporte ins Kaiserreich erreicht hatte: „Wir haben hier kein Kunstwerk ausgegraben, sondern eine ganze Epoche.“

Hellenismus hat im Pergamon-Altar seinen künstlerischen Gipfel

Diese Epoche, jene durch die Römer nachhaltig verpönte und als Dekadenz empfundene Blüte des Hellenismus, die auch die Laokoon-Gruppe zu ihren Meisterwerken zählt, hat im Pergamon-Altar ihren künstlerischen Gipfel. Selbst der David des Michelangelo hätte Mühe, sich unter den Helden dieses Kampfes der olympischen Götter gegen die alten Mächte der Natur und des Chaos zu behaupten. Wachheit, Spannkraft, Dynamik, Eleganz, überwältigende Schönheit und eine nie zuvor und danach nie wieder erreichte Beherrschung des Steins sind seine Besonderheiten.

Nun besitzt dieses großartige Museum zahllose, in allen Abstufungen von Größe und Gewicht vorhandene Ausstellungsstücke, die einzigartig und einmalig zugleich sind. Je kleiner sie sind, umso weniger Beachtung finden sie in den Einrichtungen des betreuten Schauens. Die Besucher werden zu Highlight-Hoppern und vergrößern damit das Heer der unterkomplexen Vergnügungsklasse.

Man muss also die Frage stellen: Was kann das Museum, was will das Museum, was wollen die Leute vom Museum, was will das Museum von den Leuten? Es ist zu befürchten, dass es zu einem schicken Zwischenstopp der nachkulturellen Erlebnisgesellschaft wird.

Das Pergamonmuseum ist eine Einrichtung des deutschen Bildungsbürgertums, das, wie keine Gesellschaft je zuvor, eingerichtet war auf die ästhetischen und geistigen Herausforderungen der Antike, weil es die ehemals kleinen Kreise der Renaissancegelehrten ausdehnen konnte auf die viel größeren Kreise der bürgerlichen Welt. In den Jahrzehnten vor und nach der berühmtesten Jahrhundertwende, der vom 19. zum 20. Jahrhundert, war das Publikum gefasst auf das, was es zu sehen bekam, war berauscht von der dynamisch sich entwickelnden Lüftung der Geheimnisse versunkener Kulturen, welche die rasanten Fortschritte in der eigenen, modernen Zeit wie ein Komet begleiteten.

Die Frage heute wäre also, wie kann man das Schauen mit Wissen mit dem Schauen ohne Wissen versöhnen, ohne dass alle Wege der Wahrnehmung an Betreiber und Anbieter verhökert werden? Das Museum noch schicker zu machen, die endemische Veredelung der Eingangsbereiche, möglichst durch Glaspyramiden, und die Menschen nach den erstrebten endlosen Warteschlangen auf lebensabschnittlange Wartelisten zu setzen – das ist keine Lösung.

Gerhard Falkner lebt zurzeit als Stipendiat der Villa Aurora in Pacific Palisades, Kalifornien. 2012 erschienen bei Kookbooks seine „Pergamon Poems“. In Kürze veröffentlicht er im Nürnberger Verlag Starfruit Publications den Gedichtband „Ignatien – Elegien am Rande des Nervenzusammenbruchs“ mit Arbeiten des Schweizer Künstlers Yves Netzhammer.

Gerhard Falkner

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