zum Hauptinhalt

Reportage: Ein Ort, der gefunden werden will

Ufo in der Mark Brandenburg: Vor zehn Jahren erwachte Schloss Neuhardenberg zu neuem Leben.

Herrlich strahlt die Vormittagssonne auf die Fassade von Schloss Neuhardenberg: zwei Etagen preußischer Klassizismus, klar und fast schmucklos, dabei dennoch elegant, unverkennbar ein Werk Karl Friedrich Schinkels. Auf der parkseitigen Terrasse ist schon eingedeckt, weißes Linnen über den Tischen, gestärkte Stoffservietten stehen stramm wie Lange Kerls. Was für ein herrliches Ambiente für einen Hochzeitsempfang, denkt der Spaziergänger, der gerade den Hügel erklimmt, wo seit 1972 Mars und Minerva, mit marmorsteinerner Mine, an der Urne Friedrichs des Großen trauern.

Da aber röhrt es durch die Stille, muskelprotzig, aus PS-starken Maschinen: Ein Porsche biegt um die Ecke, rollt über den Rasen, kommt vorm Schloss zu stehen, dann ein zweiter, ein dritter, alle Spielarten der Nobelmarke vom Cabrio bis zum hochbeinigen Typ mit Vierradantrieb. Sämtliche Stoßstangen führen das PM im Schilde: ein Prestigekarrossenclub aus Potsdam-Mittelmark also macht Rast auf seiner kollektiven Spritztour durch die Mark. Ausgerechnet in Schloss Neuhardenberg, das vor zehn Jahren, am 8. Mai 2002, Bundespräsident Johannes Rau als Zentrum des Gedankenaustauschs wiedereröffnet hat, als Begegnungsstätte der Künste, als Ort der Konzentration – eben weil hier normalerweise nicht einmal Fahrzeuggeräusche den Geist ablenken. Und nun die forsche Porsche-Truppe. Andererseits: In dieser (schon immer) bitterarmen Region, 70 Kilometer nordöstlich von Berlin, ist jeder Euro willkommen, egal aus wessen Portemonnaie er stammt.

Es ist schon ein merkwürdiges Fleckchen, dieses Neuhardenberg. Ein unbedeutendes Kaff und doch auch ein Brennpunkt deutscher Geschichte. Zu DDR-Zeiten hieß es mal Marxwalde, entstanden ist es als Quilitz. 1814 wurde es vom König an seinen treuen Staatskanzler verschenkt, den Mitinitiator der Stein'schen Reformen, die Preußen befähigen sollten, die Führungsrolle in Deutschland zu übernehmen. Viele Generationen der Familie Hardenberg wachsen hier fortan heran, der Spross des Adelsgeschlechts, der 1921 die Standesherrschaft übernimmt, geht später als Sympathisant der Hitler- Attentäter des 20. Juli 1944 in die Geschichte ein, stellt sein Schloss wiederholt für konspirative Treffen zur Verfügung, wird nach dem gescheiterten Mordanschlag von den Nazis enteignet. Und nach dem Krieg dann ein weiteres Mal, vom neuen sozialistischen Gemeinwesen auf ostdeutschem Boden. 1996 erst erhalten die Hardenbergs ihre Immobilien zurück, verkaufen das heruntergewirtschaftete Ensemble aber im Jahr darauf an den Deutschen Sparkassen- und Giroverband. Der investiert 60 Millionen, lässt die in den siebziger Jahren direkt vorm Schloss hochgezogenen Wohnblocks schleifen (der erste Plattenbau- Abriss nach der Wende!), die historische Bausubstanz denkmalschutzgerecht aufarbeiten, so dass ein Hotel, eine Gaststätte, Ausstellungs- und Tagungsräume entstehen können.

Die Banker wollen sich hier in der Einöde zu strategischen Meetings treffen und werden gleichzeitig Kulturveranstalter, unterstützen die Kunst nicht als bloße Sponsoren, sondern stellen Bernd Kauffmann ein, den Chef der Weimarer Klassikstiftung und Macher des deutschen Kulturhauptstadtjahres 1999. Damit er hier als „Generalbevollmächtigter“ – was für eine urpreußische Berufsbezeichnung, halb militärisch, halb bürokratisch – über Stil- und Kulturfragen wache. Genug Geld ist da für ein ganzjähriges Programm mit Musik, Lesungen, Symposien.

Kauffmann kommt, aber er ist skeptisch. Wer wird sich auf den Weg machen wollen hierher? Die Anreise aus Berlin gestaltet sich auch 2012 noch wahrlich deprimierend: Erst franst die Hauptstadt kilometerweit aus, dann beginnt plattes, ödes Land, die meiste Zeit des Jahres so grau wie die Hausfassaden in den menschenleeren Straßendörfern. Einzige Sehenswürdigkeiten am Wegesrand sind der „Kaiser Pavillon“, eine mehrstöckige All-You-Can-Eat-Fresspagode in Zeuthen, und die mit ihren Förderbändern über die B1 wuchernden Cemex-Baustoffwerke. Spätestens beim Passieren des Bahndamms in Trebnitz stellen sich fast automatisch Drehbuchideen für den nächsten „Polizeiruf 110“ ein.

„Gottes Niemandsland“ nennt Kauffmann die Gegend, den tristen Landstrich zwischen dem lieblichen Scharmützelsee im Süden und den dramatischen urzeitlichen Erdverwerfungen der Märkischen Schweiz nördlich. Weiter kann man sich kaum entfernen von jenem Dreiklang, den der berühmteste Neuhardenberger, Staatskanzler-Fürst Karl August, einst als Leitmotiv seines Lebens ausgegeben hat: „Urbanität – Grazie – Ehrgefühl“. Wie ein Ufo wirkt die Schlossanlage, mit dem Fünf- Sterne-Hotel (dem einzigen im Bundesland neben dem Arosa in Bad Saarow), mit der „Brennerei“, einem der wenigen brandenburgischen Restaurants, die einen Umweg lohnen, und vor allem mit seinem ambitionierten Kulturprogramm.

Die ganz Großen kann man hier in der Schinkelkirche erleben, von den harten Bänken zu protestantisch-aufrechter Hörhaltung gezwungen. Der Geiger Gidon Kremer und seine Kremerata kommen jedes Jahr, auch Altrocker wie Udo Lindenberg ist Stammgast, Staatsschauspieler gestalten Lesungen, Staatsmänner diskutieren, Freunde anarchistischer Enten lockte auch schon eine „Duckomenta“. Ein Programm für linksintellektuelle best ager, für Toskana-Fraktionisten? Bernd Kauffmann spricht lieber von „Schillerschen Selbstdenkern“. Aber natürlich, gibt der tiefenentspannte major domus zu, spiegelt die Künstlerauswahl auch seine ästhetischen Präferenzen.

Aber die Leute kommen, eine halbe Million Besucher in zehn Jahren sind eine stolze Bilanz. Die Hälfte der Leute rauscht normalerweise aus Berlin an (und nächtens wieder zurück), zehn Prozent kommen von weiter her zum Kulturkurzurlaub. Die übrigen Gäste rekrutieren sich tatsächlich aus der Region: bildungsbürgerlicher Bodensatz aus Frankfurt/Oder und Bad Saarow, Lebenskünstler aus den Gehöften rundrum – hoch konzentrierte Zuhörer, dankbar wie einst die West-Berliner, dass Kultur zu ihnen kommt, importiert und subventioniert.

Was die Angereisten an Neuhardenberg lieben, auch die Künstler, ist das Gefühl der Entschleunigung. Einen Moment lang wird der Lebensrhythmus gedrosselt. Nach der Aufführung sitzen alle zusammen in der „Brennerei“, es gibt ja am Ort nichts anderes. Und mit ein bisschen Glück kommt dann der normale Kulturkonsument sogar ganz ungezwungen ins Gespräch mit Klaus Maria Brandauer oder Iris Berben. Tu felix diaspora.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false