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Protest-Plakat gegen Vorratsdatenspeicherung.

© dapd

Kontrapunkt: Der Post-Privacy-Floh

Datenschutz ist tot. So jedenfalls sehen es diejenigen, die sich als "Post-Privacy-Spackeria" im Netz formiert haben. Ihre These: Der klassische Datenschutz ist ein Relikt und schlichtweg nicht mehr möglich.

Die „Spacken“ haben durchaus Argumente auf ihrer Seite. Schließlich verhält sich die Politik auf dem Gebiet Datenschutz wie Graf Koks von der Gasanstalt: Alles nur Fassade, Angeberei und wenig Substanz. So hat der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar kürzlich der schwarz-gelben Koalition vorgeworfen, viel anzukündigen, aber nichts abzuschließen. Gerade für die Liberalen ist dieses schlechte Zeugnis entlarvend. Die FDP verkauft sich gerne als die Partei der Bürgerrechte, stimmte aber beispielsweise im EU-Parlament dem überarbeiteten und umstrittenen Swift-Abkommen zu, das den Transfer europäischer Bankdaten in die USA ermöglicht. Graf Rotz von der Backe eben.

Für Julia Schramm ist dies nur ein Ausdruck des schizophrenen Umgangs der Politik mit dem Datenschutz: „Da hampeln die mit Datenschutzerklärungen für Google Adsense herum, aber Swift lassen sie passieren.“, sagt die 25-Jährige im Gespräch. Die Bloggerin und Neu-Berlinerin ist seit einem Interview mit Spiegel-Online so etwas wie das Gesicht der Post-Privacy-Bewegung. Doch was will diese Gruppe?

„Ursprünglich war da ein diffuses Grundgefühl“, erklärt die junge Politologin im Café Sankt Oberholz am Rosenthaler Platz in Berlin, einem Ort, der mit seinen vielen aufgeklappten Laptops als Treffpunkt für die Digitale Bohéme gilt und daher wie geschaffen scheint für ein Gespräch über Post Privacy. Bei diesem Grundgefühl geht es um den technischen Kontrollverlust, um die Frage, was öffentlich ist und was privat und um die Kritik an Datenschutz und Datenschützern. Doch diese Fragen seien auf Unverständnis gestoßen, beispielsweise bei Constanze Kurz vom Chaos Computer Club (CCC), die zuerst von den „Post-Privacy-Spacken“ gesprochen habe. Die so angesprochenen hätten dies daraufhin aufgegriffen und gesagt: „Gut, dann sind wir halt die Spacken."

Der Begriff „Spacken“ kommt aus der Jugendsprache und bezeichnet Menschen, die sich ziemlich lächerlich benehmen. Und in der Blogger-Szene, der sogenannten Blogosphäre, veralbern nicht wenige die „datenschutzkritische Spackeria“, die den Datenschutz angesichts unüberwindlich erscheinender Herausforderungen begraben möchte.

Die junge Bloggerin Julia Schramm hat mit einem Interview über Post Privacy für Aufsehen gesorgt.
Die junge Bloggerin Julia Schramm hat mit einem Interview über Post Privacy für Aufsehen gesorgt.

© dpa

Doch die handvoll Leute, die als Spackeria Ideen zum Thema sammelt, sehen in dem zunehmenden Verlust der Privatsphäre im Netz auch eine Chance. „Datenschutz, wie er im Moment praktiziert wird, ist eine Katastrophe. Wir leben in einer Welt, wo Privatsphäre im Internet nicht existieren kann – und das ist auch gar nicht so schlecht.“, sagt Schramm. Es gehe vielmehr darum, eine Gesellschaft herzustellen, in der Privatsphäre eigentlich nicht notwendig ist. „In was für einer Welt wollen wir leben?“, fragt sie in engagiertem Tonfall. Ihr selbst schwebt eine diskriminierungsfreie Welt vor, also eine Utopie im positiven Sinn des Wortes.

„Das Problem sind die Menschen, nicht die Daten“, sagt die junge Bloggerin. „Daten für alle und zwar umsonst“, formuliert sie den Schlachtruf der Bewegung. Wenn alle sämtliche Daten zur Verfügung hätten, würden sich gewisse Machtfragen nicht mehr stellen. Dabei ginge es aber gar nicht grundsätzlich gegen Datenschutz, räumt sie ein. Dieser müsse vielmehr auf den Grundlagen informationelle Selbstbestimmung und Anonymität fußen. „Hoch die internationale Anonymität“, fügt Schramm lächelnd hinzu. Die Lust an der Provokation ist ihr anzumerken.

Und die Provokation hat gewirkt: Das erste Interview zum Thema habe einen „Shitstorm“ ausgelöst, also eine Welle der Empörung. Auch innerhalb ihrer eigenen Partei, der Piratenpartei, gibt es heftige Kritik. Christopher Lauer vom Bundesvorstand der Piratenpartei weist laut dpa darauf hin, dass die Geschäftsmodelle von Firmen wie Facebook und Google auf den privaten Daten ihrer Nutzer beruhten, und dass auch der Datenhunger des Staates ungestillt sei. Diese Problematik thematisieren Constanze Kurz und Frank Rieger in ihrem neuen Buch „Die Datenfresser“. Wegen der Verflechtung von Informationen im Netz könne der Umgang mit „Post-Privacy“-Anhängern im Ernstfall ähnlich riskant sein wie intimer Umgang mit habituellen Safe-Sex Verweigerern“, meinen die Autoren.

Nach einem digitalen Kondom steht Julia Schramm nicht der Sinn. Sie selbst sei sehr offen im Netz unterwegs und auf Facebook, Twitter und in ihrem Blog sei viel Privates zu lesen. Man müsse sich halt entscheiden ob man sich bei Facebook anmelde oder nicht, sagt Schramm, und mit den Konsequenzen leben. Von Beschränkungen des Netzes hält sie grundsätzlich nichts.

Die Diskussion um Netzsperren, um den digitalen Radiergummi oder um die Vorratsdatenspeicherung haben gezeigt, dass die Politik in Sachen Datenschutz den Mund gerne sehr voll nimmt, jedoch wenig zu bieten hat – ja selbst ein Teil des Problems ist. Blender wie Graf Koks von der Gasanstalt sind am Werke. Gebraucht wird eher der kluge Graf Koks, den Peter Panter (alias Kurt Tucholsky) 1932 in der „Weltbühne“ beschrieben hat: „Im Departement du Gard (…) da saß in einem Postbüro ein älteres Fräulein als Beamtin, die hatte eine böse Angewohnheit: sie machte ein bißchen die Briefe auf und las sie (…) und bereitete mit ihren Indiskretionen den Leuten manchen Kummer. Im Departement wohnte auf einem schönen Schlosse ein kluger Graf. (…) Und dieser Graf tat eines Tages folgendes: Er bestellte sich einen Gerichtsvollzieher auf das Schloß und schrieb in seiner Gegenwart an einen Freund: Lieber Freund! Da ich weiß, daß das Postfräulein Emilie Dupont dauernd unsre Briefe öffnet und sie liest, weil sie vor lauter Neugier platzt, so sende ich Dir inliegend, um ihr einmal das Handwerk zu legen, einen lebendigen Floh. Mit vielen schönen Grüßen, Graf Koks. Und diesen Brief verschloß er in Gegenwart des Gerichtsvollziehers. Er legte aber keinen Floh hinein. Als der Brief ankam, war einer drin.“

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