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Noch bis zum 4. Mai dauert die Re:publica 2012.

© dpa

Re:publica 2012: Die "Netzgemeinde" spricht nicht mehr mit einer Stimme

Auf der Re:Publica zeigen sich immer mehr Widersprüche hinter den einhelligen Forderungen der "Netzgemeinde" nach mehr Transparenz und Partizipation.

Es ist so ein Re:Publica-Moment. Wie sich da auf einem Panel zum Hackerkollektiv "Anonymous" der deutsche Frank Rieger, Sprecher des Chaos Computer Clubs, und der amerikanische Hacker Jacob Appelbaum darüber in die Haare bekommen, welche Form des Online-Aktivismus denn nun zu goutieren sei. Wie da Appelbaum Rieger despektierlich einen "Alt-Rock'n'Roller" nennt, weil dieser nicht bereit ist, alle Formen der Netz-Sabotage an Firmen und Regierungen in jedem Fall gutzuheißen.

Wie sich da in unmittelbarer Nachbarschaft der Logos der Re:Publica-Partner, darunter Daimler, Vodafone und die Bundeszentrale für politische Bildung, eine Diskussion darüber entspinnt, welche Arten des Hacker-Widerstands angesichts intransparent agierender Machtkomplexe opportun seien: Das alles zeugt von einer Durchlässigkeit zwischen Radikalismus und Pragmatismus, Widerstand und Kommerz, wie ihn noch nur das Netz erzeugt - und ihn deshalb auch nur eine Veranstaltung wie die "Re:Publica" abbilden kann.

Dabei zeigt die diesjährige Ausgabe der weltgrößten Bloggermesse einmal mehr, dass das Netz politisch nicht mehr ausschließlich netzpolitische Themen betrifft. "Re:Open" und "Re:Volt" nennen sich die Programmsparten, in denen auch abseits des radikalen Aktivismus nach Anonymous-Vorbild die Frage diskutiert werden, inwieweit sich mit dem Internet politische Prozesse beeinflussen, verändern, zuvorderst aber kontrollieren lassen. "Vergesst nicht euer Recht zu wissen", ruft am Morgen des ersten Tags die britische Aktivistin Helen Darbishire und fordert eine "Open-Data-Revolution".

Angelehnt an das hier von Darbishire promotete Tool "Ask the EU" haben Christian Humborg und Stefan Wehrmeyer die Webseite "Frag' den Staat" entwickelt, von der aus Nutzer mit leicht zu handhabenden Vordrucken Informationen von Ministerien und Behörden erbitten können, die ihnen laut Informationsfreiheitsgesetz zustehen.

Doch auch das wird bei der diesjährigen Re:Publica deutlich: Auf dem weiten Feld zwischen radikalem Netzaktivismus à la Anonymous und zahmen, durch nationales und internationales Recht gedeckten Datenanfragen hat sich der Diskurs spürbar verbreitert - bis zu einem Punkt, an dem die "Netzgemeinde" mitnichten noch mit einer klar lokalisierbaren Stimme spricht. Da findet etwa die Frage danach, welche Rolle Partizipation durch das Internet in einer Demokratie spielen sollte, auf einem Podium gleich mehrere Antworten - und die Piratin Julia Schramm steht auch hier, unter Netzmenschen, denkbar allein mit ihrer Radikalposition, es sei fahrlässiger, 600 Abgeordneten eine politische Entscheidung  zu überlassen, als sie an Abstimmungssoftware im Netz zu delegieren.

"Ich möchte nicht, dass im Internet darüber abgestimmt wird, wie ein Euro-Rettungsschirm aufgezogen werden soll", weist der Netzphilosoph Bertram Keller, eigentlich ein Befürworter digitaler Partizipation, Schramms Vorstoß zurück. Zwar sei es notwendig, Bürger verstärkt in politische Prozesse einzubeziehen. Jedoch brauche es für den demokratischen Diskurs Expertentum, und letztlich auch eine greifbare Kritikfigur, die man im Zweifel auch abwählen könne.

Damit erreicht der Diskurs um den Diskurs auf dieser Re:Publica eine neue Höhe: Hinter den einhelligen Forderungen nach mehr Transparenz, mehr Partizipation und mehr Möglichkeiten für eine kritische Öffentlichkeit, sich zu artikulieren, ergeben sich immer deutlicher Friktionen zwischen den einzelnen netzaktivistischen Gruppen und Fraktionen und ihren Vorstellungen eines politisierten Netzes. Mögen Kellers Vision - "eine neue Öffentlichkeit, die viel stärker vernetzt ist" - und jene Schramms - "eine Netzplattform, von der aus Gesetzesinitiativen automatisch ins Parlament kommen" - noch vor nicht allzu langer Zeit als zwei Ausdrucksformen ein- und desselben Strebens nach mehr Demokratie wahrgenommen worden sein: Jetzt existieren sie bereits als konkurrierende Ideen. Welche sich durchsetzen wird, in dieser Frage herrscht auf der "Re:Publica" wie auch sonst: maximale Offenheit.

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