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Retrospektive: Sonne, Ei und Kurven

„Sixtina der Moderne“: Vierzig Jahre nach Hans Arps Tod restauriert Straßburg die „Aubette“.

Am Ende seines Lebens sah Hans Arp (1868 bis 1966) wie Picasso aus: ein noch im Alter drahtiger kleiner Mann mit rundem Schädel, in dessen Knopfaugen ein Feuer glühte, gespeist von der Flamme der Kunst. Und wie Picasso erfand sich der fünf Jahre jüngere Franzose als Künstler immer wieder neu, mal schlug er Haken zur Skulptur, mal zur Malerei, dann wieder dichtete er. Auch Arp prägte die Avantgarden der ersten Jahrhunderthälfte mit, sei es in der Dada-Bewegung, dem Surrealismus oder dem Konstruktivismus.

Eine alles überragende Figur wie Picasso wurde der künstlerische Tausendsassa aus Straßburg trotzdem nicht, das Dominieren lag ihm nicht. Arp war ein Gemeinschaftsmensch, engagierte sich in Künstlergruppen, kollaborierte bei Einzelwerken, so dass die individuelle Handschrift verschwand. Berühmt sind die zusammen mit seiner Frau Sophie Taeuber-Arp, Raoul Hausmann und Oscar Dominguez entstandenen „Cadavres exquis“, eigentlich ein Kinderspiel, bei dem nacheinander jeder ein unverdecktes Stück des Blattes bearbeiten darf. Aus einer Maske windet sich da eine Tuba, die zur Hose mutiert, um bei zwei Badekappenträgerinnen mit Löffeln im Mund zu landen. Von wem was stammt, spielt keine Rolle mehr: der Surrealismus mal heiter.

Diese spielerische Note sollte für alle Werke Arps charakteristisch bleiben. Seine Heimatstadt widmet ihm nun anlässlich der „Europäischen Kultursaison“ eine Retrospektive im Museum für moderne und zeitgenössische Kunst. Die letzte große Würdigung in Frankreich liegt über zwei Jahrzehnte zurück, Zeit nochmals Bilanz zu ziehen und nach der unglückseligen Eröffnung des Arp-Museums in Remagen mit seinen fragwürdigen Bronze-Nachgüssen wieder auf den ganzen Künstler und sein Werk zu sehen.

„For Arp, art is Arp“, hatte Marcel Duchamp 1949 formuliert. Sein Diktum gibt der 180 Arbeiten umfassenden Ausstellung den Titel und sorgt doch für Verwirrung. Denn was heißt hier Arp, was genau ist die Kunst? Noch vierzig Jahre nach seinem Tod mutet es abenteuerlich an, wie der Künstler die Spuren seines Schaffens verwischte und Kreativität zu einem naturhaft ganzheitlichen Phänomen erklärte. Er selbst fand dafür das Bild des Nabels, der in allen Werkphasen wiederkehrt: ein ovales Signet, das ebenso als Ei, Sonne, wie runde Urform gelten kann. Um diese Kreisform herum ließ er etwa Papierschnipsel auf den Boden flattern und sie dann von Tischlern in ein Holzrelief übertragen. Jeff Koons, der Luftballongebilde in hochpolierten Stahl übersetzt, macht es heute nicht anders. Und noch immer scheiden sich daran die Geister.

Diese besondere Aufgeschlossenheit Arps mag von seiner Geburtsstadt herrühren. Damals war Straßburg noch deutsch, der Fabrikantensohn wuchs zweisprachig auf und studierte sowohl in Weimar als auch in Paris. Als Zeichen seiner doppelten Geistesbürgerschaft nannte er sich später Hans-Jean Arp, was sich in Straßburg in der Bezeichnung des Museumsvorplatzes niederschlägt. Diese Heimführung erfolgte allerdings erst spät. Seine „Aubette“, ein Vergnügungsetablissement hinter klassizistischer Fassade am zentralen Platz der Stadt, heute in Straßburg großspurig „Sixtina der Moderne“ genannt, machten die Bewohner wenige Jahre nach ihrer Einweihung 1928 wieder platt. Das gestalterische Gemeinschaftswerk von Hans Arp, Sophie Taeuber-Arp und dem holländischen Konstruktivisten Theo van Doesburg – Dekor und Mobiliar bestand aus farbigen Quadraten – war ihnen zu modern.

Nachdem nun ein Hotelkomplex samt Einkaufspassage in dem städtebaulichen Areal neu eröffnet hat, bekamen auch die noch im Zuschnitt erhaltenen Räumlichkeiten der Arpschen „Aubette“ wieder eine Chance. Auf der Grundlage von Fotos, Skizzen, Fabrresten wurden die Treppe, der große Festsaal, die Foyer-Bar und der Ciné-Bal, eine Mischung aus Tanzsaal und Kino, rekonstruiert. Der heutige Gast durchschreitet die Hallen so andächtig wie sonst nur die Dessauer Meisterhäuser. Das alles atmet den Geist der Moderne: bloß kein Kitsch mehr, statt dessen klare Farben. Nur der Tresen fehlt, von dem der Besucher einst zum Kino rüberschauen oder zum Festsaal wandeln konnte. Noch ist nicht klar, was die Stadt mit dem wiedergewonnen Schatz anfängt: für offizielle Empfänge, Sonderausstellungen oder Tanztees?

Hans Arp hätte eine solche Multifunktionalität gewiss gefallen. Zeit seines Lebens hat er sich bestimmte Werke immer wieder vorgenommen und neu verwendet. So benutzte er alte Collagen, Grafiken, Zeichnungen erneut, zerriss sie und benutzte sie als Fragmente wieder. Oder er setzte Abgussformen nochmals ein, um sie mal für Gipse, mal für Bronzen zu verwenden. Gerade diese Variabilität öffnete dem Missbrauch nach dem Tod Künstlers durch posthume Güsse Tor und Tür. Kein Wunder, dass die Nachlassverwalter miteinander streiten. Nur an einem Punkt wird kein Millimeter abgerückt: Die winzige Skulptur „Verloren im Wald“ von 1936, eine gipserne Knolle, auf der zwei wurmartige Gebilde je nach Lust hin- und hergeschoben werden sollten, darf heute niemand mehr verändern. Das Spiel hört im Museum auf.

Musée d’Art moderne et contemporain, Straßburg, bis 15. Februar.

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