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Kultur: Rettung in letzter Sekunde

Die Biedermeier-Damen, die 1828 der Premiere von Heinrich Marschners neuester Oper beiwohnten, dürften sich wohlig gegruselt haben: Bekamen sie im "Vampyr" doch einen blutdürstenden Wiedergänger präsentiert, der zum eigenen Überleben gleich drei ihrer Geschlechtsgenossinnen innerhalb eines Tages verführen und aussaugen muß.Einen ins Negative verstärkten Don Giovanni gewissermaßen, der wie sein berühmter Aristokratenkollege am Schluß in die Hölle expediert wird.

Die Biedermeier-Damen, die 1828 der Premiere von Heinrich Marschners neuester Oper beiwohnten, dürften sich wohlig gegruselt haben: Bekamen sie im "Vampyr" doch einen blutdürstenden Wiedergänger präsentiert, der zum eigenen Überleben gleich drei ihrer Geschlechtsgenossinnen innerhalb eines Tages verführen und aussaugen muß.Einen ins Negative verstärkten Don Giovanni gewissermaßen, der wie sein berühmter Aristokratenkollege am Schluß in die Hölle expediert wird.Natürlich scheitert der tragische Finsterling im Showdown des Finales, wird die gottvertrauende Malwina (Opfer Nr.3) in letzter Sekunde von ihrem liebenden Edgar gerettet.Ein Plot wie aus einem Trivialroman und eine Musik, die die Brücke schlägt zwischen Weber und Wagner.Da klingt Malwinas Soloszene noch wie ein Nachklang von Agathes großer "Freischütz"-Szene, kündigt Emmys (Opfer Nr.2) Ballade vom "bleichen Mann" aber schon deutlich Sentas "Holländer"-Vision an.Mittlerweile ist Marschners Oper fast vergessen, zu Unrecht, wie der Wiederbelebungsversuch am Theater Halle zeigt.Denn der "Vampyr" stellt sich als musikalisch äußerst blutvoll heraus, reicht in seinem melodischen Erfindungsreichtum, der Vitalität seiner Volksszenen fast an Webers Meisterwerk heran.Das hat durchgängigen dramatischen Drive und ist in seinem technischen Anspruch leichter zu bewältigen als die nachfolgenden Wagner-Opern.Auch wenn das Hallenser Orchester unter Roman Brogli dazu neigt, rhythmische Konturen durch unpräzises Zusammenspiel etwas zu verschleifen - der theatralischen Wirksamkeit der Musik tut das kaum Abbruch.Weit fataler wirkt sich da schon aus, daß Regisseur Jens Pesel das Schauerstück allzu ernst genommen hat.Da werden weder die Trivialitäten der Story zu einer hemmungslosen Kitschorgie überspitzt noch die geheimen erotischen Sehnsüchte des spießbürgerlichen Biedermeier unter die Lupe genommen.Erst ganz zum Schluß, wenn das glückliche Ende erreicht ist, macht Pesel einen Versuch, die Anziehungskraft des morbiden Außenseiters in Szene zu setzen: Zum Schlußensemble reckt die errettete Malwina ihre Arme einer Projektion des Vampirgesichtes entgegen - zu spät, um die Zuschauer nach zwei Stunden Bühnenbiederkeit noch überzeugen zu können.So bleibt es im kärglichen Bühnenbild von Bernd Leistner, das wie die Zweitverwertung einer sechziger-Jahre Tannhäuser-Kulisse wirkt, bei konventionell statuarischem Agieren, das Stimmungs- und Tempowechsel in der Musik weitgehend ignoriert.Umso bedauerlicher als in Halle auf gutem Niveau gesungen wird.Mit Ulrich Studer besitzt das Haus einen souveränen Mittelgewichtsbariton: Sein Vampyr hat genug Volumen und schwarze Farbe im tiefen Register, um bedrohlich zu wirken, kann aber die grelle Verzweiflung des Außenseiters hörbar machen.Daneben treten vor allem die Frauen hervor: Halles Hausstar Romelia Lichtenstein gibt der Malwina mit ihrem individuell gefärbten, dramatisch vibrierenden Sopran soviel Leben, daß man ihr die brave Gottesfurcht kaum mehr abnehmen möchte.Frauke Nehrig macht als kokettes Opfer Emmy mit der schieren Tonschönheit und Ausstrahlung ihrer üppigen lyrischen Stimme nachhaltig auf sich aufmerksam.

Nächste Vorstellungen: 25.10., 15 Uhr, 31.10., 19.30 Uhr.Karten unter 0345 / 2026458.

JÖRG KÖNIGSDORF

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