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Kultur: Revolutionen müssen sich lohnen

Märchen der Aufklärung: die Uraufführung von Lutz Hübners „Bankenstück“ am Berliner Maxim Gorki Theater

Am Ende muss die Nato-Eingreiftruppe Deutschlands Hauptstadt aus den Händen des aufständischen Volks befreien, und die sinistren Manager und Spekulanten, eben noch Gefangene und Angeklagte eines Sponti-Tribunals, kehren feixend an die Macht zurück. Aus der Traum von einem gerechten, besseren Berlin – und von einer Renaissance der politischen Bühne!

Kanonendonner. Maschinengewehrsalven. Wild gestikulierende, augenrollende Freischärler toben über Tisch und Bänke. Es ist eine Art „Terminator“-Fantasie, gekreuzt mit Brechts Parabel von den „Tagen der Commune“, was das Maxim Gorki Theater da mit gewaltigem Brimborium entfesselt. Ein ohnmächtiger Alptraum: Lutz Hübners „Bankenstück“ schießt weit und hektisch an dem monströsen Thema vorbei, das sich das Gorki-Team um Intendant und Regisseur Volker Hesse vorgenommen hat – als erste und einzige Berliner Staatsbühne, immerhin.

Wenig erfährt man über den so genannten Bankenskandal, den Zusammenbruch der Bankgesellschaft Berlin und die nach wie vor kaum absehbaren Folgen der Milliardenpleite. Nichts, was man nicht schon aus der Zeitung wüsste. Entsetzlich viel Energie wird stattdessen aufgewendet für die Aufmärsche und Stammestänze der betrogenen, von immer schlimmeren Sparmaßnahmen gebeutelten Bürger, die frühlingshafte Revolutionslüfte ventilieren.

Ach, das ist so ein Theater, bei dem man wider Willen zum Reaktionär wird. Weil es gnadenlos populistisch zwischen dem Herbst 1989 („Wir sind das Volk“), argentinischen und haitianischen Armutsaufständen und Attac-Demos gegen die Globalisierung irrlichtert. Als wären die Verhältnisse hier auch nur im entferntesten vergleichbar. Marodierende Amazonen werfen den Bankern Autoreifen um den Hals, übergießen sie aus Benzinkanistern, recken lustvoll-drohend Feuerzeuge in die Höhe. Die Regie spart nicht an Actionszenen und gestelzter Theatergewalt. Ach, ein Ringelpiez, harmlos.

Ein Treppenwitz, auch. Ende der Neunzigerjahre, unter der Intendanz von Bernd Wilms, wollte das Gorki Theater einmal Fassbinders (Frankfurter) Immobilien- und Spekulantenfarce „Der Müll, die Stadt und der Tod“ aufführen; damals war die Bankgesellschaftsblase noch nicht geplatzt. Die Aufführung kam – Antisemitismus-Verdacht! – nie zustande. Vor zwei Jahren war das Gorki über Nacht selbst auf die Liquidationsliste des Senats geraten. Der rot-rote Senat, der schließlich dem Bankenskandal seinen Wahlsieg verdankte, schreckte vor Theaterschließungen zurück.

Politiker übrigens kommen in Lutz Hübners Stück mit dem fassbinderischen Untertitel „Das Geld, die Stadt und die Wut“ überhaupt nicht vor, kein Lando oder sonstwer. Warum nicht? Fürchtet das Theater juristische oder andere Konsequenzen – oder erschien den Gorki-Analysten, die sonst kaum ein (Berliner) Klischee auslassen, die Realität zu vordergründig und zu platt?

Hier muss jetzt die ganze Stadt brennen. In Hübners Skript, bis zuletzt ein work in progress, ein Diskussionspapier, stürmt die Menge Reichstag und Rotes Rathaus – und nachher auch Kaufhäuser. Freilich weiß man am Gorki Theater zwischen guter und schlechter Gewalt zu unterscheiden. Die „Linken“ wollen die Verantwortlichen der Milliardenverschleuderung zur Verantwortung ziehen, weil sie den ordentlichen Gerichten – man wird sehen, ob mit Recht – misstrauen. Dann aber treten finstere Gangs auf den Plan: „Rechte“ Schläger, die in der allgemeinen Anarchie Jagd auf Kommunarden machen. Um überhaupt zu einem Ende zu kommen, holen Hübner und Hesse die internationalen Ordnungsmächte. Die Schlussvolte – natürlich kaut der GI Kaugummi –, das Revirement der alten Bankerschurken bringt, immerhin, einen Anflug von Ironie in all das Barrikadengebraus.

Über Laufsteg und Leitern im Zuschauerraum fegt der Volksturm. Marina Hellmann hat dem „Bankenstück“ einen offenen Raum gebaut, der mit schiefem Portal, zerborstenem Pomp und einem kaputten Konzertflügel ein ästhetisches Angebot macht. Die Regie, trunken von der Revolution aus der Rappelkiste, lässt sich nur selten darauf ein: auf das Hintergründige. Auf das, worum es eigentlich geht. Um die Bank. Um Berlin.

In den Zeugenstand tritt ein gewisser Rombach (sämtliche Namen sind hier frei erfunden), einst selbst Mitspieler beim Berliner Monopoly, bis man ihn feuerte. In seiner Suada, halb Charakterstudie, halb Crash-Kurs darüber, wie die Geldvernichtung überhaupt funktioniert, zeigt der Schauspieler Norman Schenk, was das „Bankenstück“ hätte sein können, müssen. Ein Spiel um Fakten, um Köpfe, um Seilschaften. Eine Berliner Klimastudie. Diese Uraufführung hört dann auf, eine ärgerliche Posse zu sein, sie fängt an, für ein paar Momente interessant zu werden, wenn Ruhe herrscht. Wenn die fünf Bank-Abzocker unter sich sind. Wenn sie es, immer noch großmäulig und sich keiner wahren Schuld bewusst, weil das System im Grunde ihre Transaktionen deckte, mit der Angst bekommen. Angeführt wird der Trupp der Hasardeure von einem gewissen Jacobs, einem Bauunternehmer: Thorsten Merten führt einen gerissenen Macho mit eisigen Augen vor, der alle flachlegt. Auch die Amazonenbraut.

Szenenapplaus räumt Ursula Werner ab, als Ost-Berliner Schnauze. („Ich habe damals gedacht, jetzt kommt es anders, jetzt haben wir ne Demokratie? Denkste Puppe! Jetzt haben wir nicht mehr die Diktatur des Proletariats, jetzt haben wir die Diktatur des Geldes. Der Trog ist geblieben, nur die Schweine haben gewechselt.“) Saftiger Monolog, nur: Von den Stützen der Berliner Bankgesellschaft lenkt das wieder ab. Man will etwas von drinnen wissen, über die Mentalität, die Karrieren, die Kategorien dieser Typen, die Steuergeld verdrücken wie Kartoffelchips. David Mamet hat einmal ein solches Stück geschrieben, „Hanglage Meerblick“, eine atemberaubende Studie aus dem Milieu amerikanischer Immobilienmakler.

Und natürlich denkt man an Rolf Hochhuths jüngst in Brandenburg uraufgeführten Versuch „McKinsey kommt“, der über Selbstjustiz gegen Wirtschaftsbosse reflektiert, während man im Gorki Theater darauf wartet, dass endlich die Berliner Zahlenkombination geknackt wird. Spät kommt den Kommunarden die Erkenntnis: Die Banker sind die wahren Freibeuter, sie entwickeln „anarcho-syndikalistische Systeme im Herrschaftsapparat“. Diese Erkenntnis wurde auch schon dem portugiesischen Poeten Fernando Pessoa und seinem „Anarchistischen Bankier“ in den Zwanzigerjahren zu Teil. Es ist ja schön, wenn das Theater die Wirtschaft wiederentdeckt. Doch zu dem Thema hat das Maxim Gorki Theater mit seiner erfolgreichen „Dreigroschenoper“ bereits alles gesagt. Erinnern wir uns, Brecht anno 1928: „Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank.“

Wieder am 27. März , 4. und 13., 14. April.

Rüdiger Schaper

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