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Rezension: Kuttner ist die neue Roche

Gerrit Bartels staunt über Mängelexemplare als Bestseller. Aktuells Beispiel: Sarah Kuttners erster Roman gleichen Namens.

So langsam wird es wieder ernst, für das Feuilleton und den Rest der Medienwelt. Phänomenbetrachtung ist angesagt, Sarah Kuttner und ihr erster Roman „Mängelexemplar“ stehen ante portas. Oder besser: Klettern in den Bestsellerlisten an allen vorbei, außer an Stephenie Meyer, aber die ist mit ihren Vampir-Romanen sowieso ein Fall für sich. Bei Charlotte Roche und ihren „Feuchtgebieten“ war das letztes Jahr nicht viel anders, auf einmal ging das Buch und ging und ging und wurde mitunter gar zu einer Fibel des Postfeminismus oder eines sonstigen neuen Feminismus hochgeschrieben. Tatsächlich haben Roche und Kuttner einiges gemein: Beide sind durch das einstige Musikfernsehen bekannt geworden, haben bei VIVA und MTV moderiert, beide sprechen also ein jüngeres und durch ihre Heldinnen auch primär weibliches Publikum an.

Bekam man bei Roche allertiefste Einblicke in genitale Tabuzonen, beschäftigt sich Kuttners „Emo-Monster“ Karo bevorzugt mit ihrer Psyche. Gefühle sind der reinste Stress für sie, vor allem aber leidet sie an einer manifesten Depression. Auch das ein Thema, über das niemand gern Auskunft gibt, schon gar nicht dynamische junge Menschen. Es passt also gut: Kuttner ist die neue Roche, ohne ein Klon zu sein, sie bildete ja schon vorher eine eigene Marke. Trotzdem wird es kein Verlag versäumen, jetzt erst recht noch mehr oder weniger prominente junge Damen zum Bücherschreiben zu animieren. Der Roche-Rahm will weiter abgeschöpft werden. Dazu gehört auch: Die Bücher dürfen keine gebundenen sein, sie funktionieren auf dem Markt vor allem als Zwitter aus Hardcover und Taschenbuch. Dann müssen sie locker und flockig geschrieben sein, alle Lebensunbill muss immer wieder weggewitzelt werden können. Und Literatur dürfen sie natürlich auch nicht sein, mehr erzählendes Sachbuch als echter Roman.

Dem S. Fischer Verlag kann man zu diesem Bucherfolg nur gratulieren. Fragt sich, ob bei all dem Kuttner-Trubel auch Judith Hermann noch entsprechend positioniert werden kann, deren neues Buch im Mai bei Fischer erscheint. Hermann ist ja wirklich Literatur, und ihre Zielgruppe zehn Jahre älter als die von Kuttner.

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