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RIAS: Auf zu den Bergen

Der RIAS-Kammerchor auf der Erfolgsleiter: Nun feiert das Ensemble seinen 60. Geburtstag.

Freut euch und jubiliert: In diesem Oktober begeht der RIAS-Kammerchor, gefragter denn je als ein Fixstern des Berliner Musiklebens, seinen 60. Geburtstag. 60 Jahre: Das sind, wie Chefdirigent Hans-Christoph Rademann mit Stolz und Dank an alle Verantwortlichen bilanziert, 50 Uraufführungen, mehr als 100 Schallplatten und CDs, 70 nationale und internationale Auszeichnungen und fast 2600 in Rundfunkarchiven dokumentierte Werke. Und es kündigen sich Neuproduktionen mit dem Label harmonia mundi an, darunter „Die Schöpfung“, die René Jacobs auch öffentlich im traditionellen Neujahrskonzert in der Philharmonie und auf Tournee dirigieren wird.

Diese Eröffnung des Haydn-Jahres dürfte kräftig klotzen mit dem, was der Chor zu seinem dringendsten Anliegen gemacht hat: historische Aufführungspraxis. Der Abend mit dem Freiburger Barockorchester soll ein „Feuerwerk“ im Angebot der Jubiläumsspielzeit sein. Um einem irrigen Verdikt von Einspurigkeit vorzubeugen: Rademann dirigiert nicht nur Bach mit der Akademie für Alte Musik (nach der faszinierenden Matthäuspassion nun die Johannespassion), sondern auch einen reinen Krenek-Abend.

Die Bilanz liest sich wie das Märchen vom kleinen Studioensemble, das aufbricht, um die Welt zu erobern. Am Anfang steht Karl Ristenpart, Dirigentenlegende der Berliner Nachkriegszeit: Beim „Drahtfunk im amerikanischen Sektor“, dem späteren RIAS, versammelt er ein Chörchen, dessen erste Töne schon 1946 live gesendet werden. Bald wirkt der junge Dietrich Fischer-Dieskau mit. Ristenpart ist quasi Vorläufer. Die Arbeit dieses bedeutenden Bach-Interpreten gibt den Anstoß zur Gründung des RIAS-Kammerchores 1948. Erster künstlerischer Leiter wird Herbert Froitzheim, ein Sänger, der selbst aus der Chorpraxis (an der Deutschen Staatsoper) kommt.

Es liegt heute ein halbes Jahrhundert zurück, dass Paul Hindemith dem RIAS-Kammerchor einen siebenstimmigen Glückwunschkanon komponiert hat. Ein Stücklein zum 10-jährigen Bestehen. Das Ensemble hat sich als professioneller Klangkörper etabliert. 35 Mitglieder. Bis 1972 wird er von Günther Arndt geleitet, einem Chef der gelassenen Art, Hindemith-Freund und glühender Verehrer von Heinrich Schütz. Er pflegt das A-cappella-Ideal. Zunächst ist viel Chorliteratur für den Funk einzuspielen. Dann mehren sich die öffentlichen Auftritte unter Arndt und Dirigenten wie Fricsay, Karajan oder Gielen, und Maazel schreibt ins Gästebuch: „Braviiii.“ Ur- und Erstaufführungen: Wer zählt die Komponisten? Schönberg, Blacher, Henze, Strawinsky, Dallapiccola, Kagel, Reimann, Schnebel.

Es ist spannend, in den Pressestimmen der fünfziger und sechziger Jahre zu blättern, weil sie eine versunkene Westberliner Zeitungslandschaft spiegeln: so „Der Tag“, „Telegraf“, „Der Abend“, „Volksblatt“, „Der Kurier“.

Der RIAS-Kammerchor profitiert von dem Stilwandel, der sich zumal bei der Alten Musik vollzieht. An die Stelle der Massenbesetzungen tritt das Kammerensemble. Um Breitenwirkung zu erreichen, mussten die Chorprofis einst mit Verstärkung untermischt werden, etwa vom Berliner Motettenchor, einem ehrgeizigen Laienchor, der damals eine goldene Zeit erlebte: neben den illustren Sängerinnen und Sängern unter Dirigenten wie Hindemith und Fricsay mitzusingen. Heute triumphiert auf diesem chorsymphonischen Feld der Rundfunkchor Berlin.

Die musikalische Neuzeit wird von den Leitern Uwe Gronostay (1972 bis 1986) und Marcus Creed (bis 2001) bestimmt. Als der erfolgreiche Gronostay scheidet, wollen viele seinem Nachfolger, dem Chordirektor der Deutschen Oper, Glanzleistungen mit dem Kammerchor nicht zutrauen. Aber Creed wird als poetischer Dirigent entdeckt. Nach einem Intermezzo mit Daniel Reuss hat sich Hans-Christoph Rademann als Chefdirigent eingeführt. Auf der Suche nach dem fernen Klang drängt sein Experimentiergeist ins 19. Jahrhundert. Zu einem Mendelssohnbild, das der Seele nahe geht: „Hebe deine Augen auf zu den Bergen.“

Heute im Radialsystem, 20 Uhr: Jubiläumskonzert mit Neuigkeiten und Gästen.

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