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Richard-Wagner-Jubiläum: In der Endlosschleife

Ein Jubiläum ohne neue Erkenntnisse: Auch Stefan Herheim liefert mit seiner „Meistersinger“-Inszenierung in Salzburg nicht den ersehnten Höhepunkt des Wagner-Jahres.

Doch, die Zeichen stehen nicht schlecht, mit einer heißen, stockenden Bahnreise von Bayreuth via Nürnberg nach Salzburg noch zum Höhepunkt des Wagner-Jubiläums zu gelangen. Die beiden Festivals sind sich in steter Konkurrenz um den glanzvollsten Saisonauftakt verbunden. In Salzburg hat man gar das Programm so verbreitert, dass man vor Bayreuth startet und nach dem letzten Takt auf dem Grünen Hügel noch immer spielt. Nun ist Intendant Alexander Pereira darüber gestürzt, seinen Etat noch weiter ausdehnen zu wollen. Er zieht weiter nach Mailand, wo er es mit weit schwierigerem kulturpolitischem Terrain zu tun bekommt – und mit Daniel Barenboim, dem Musikchef der Scala. Das heißt auch: Pereira kann sich auf reichlich Wagner einstellen.

Zum 200. Geburtstag hat er ihn prominent ins Salzburger Programm gehoben, mit einer Neuinszenierung der „Meistersinger von Nürnberg“. Die dirigierte zuletzt Wilhelm Furtwängler an der Salzach, anno 1938. Ein konzertanter „Rienzi“ unter Philippe Jordan in der monumentalen Felsenreitschule folgt noch. Als Regisseur gelang es Pereira, Stefan Herheim zu gewinnen, der vor zehn Jahren mit einer „Entführung aus dem Serail“ in Salzburg für Tumulte sorgte. Seitdem zieht er von Triumph zu Triumph: Bis 2021 sei er nun ausgebucht, erklärte der 43-Jährige unlängst. In Bayreuth inszenierte er „Parsifal“ 2008 mit einer Fülle an Gedankenfetzen, unmittelbar sinnlich, anregend und konsequent aus der Partitur entwickelt. Das schürt Erwartungen, selbst in Salzburg, das keine Wagner-Tradition kennt und dessen Publikum bittschön nicht mit echten Wagnerianern zu verwechseln ist. Dafür braucht man ins Große Festspielhaus kein Sitzkissen mitzubringen.

Heil-Rufe, bis der Vorhang fällt

Wie will man „Die Meistersinger von Nürnberg“ je wieder inszenieren, ohne sich der Tatsache stellen zu müssen, dass ihre Aufführung fester Bestandteil der Reichsparteitage war? Wie damit verfahren, dass Hans Sachs in seiner Schlussandacht eindringlich vor „welschem Tand“ warnt und daraus folgert: „Ehrt Eure deutschen Meister, dann bannt Ihr gute Geister!“. Heil-Rufe, bis der Vorhang fällt, sind der konsequente Schluss. Stefan Herheim bedient sich für seine Inszenierung eines Kniffs, der Wagner wieder zurücksetzt, in ein Stadium relativer Unschuld. Seine „Meistersinger“ spielen zur Zeit ihrer Entstehung, in einem politisch desillusionierten Biedermeier. „Eine Kindheitsgeschichte des Deutschtums“ will Herheim erzählen, ein putziges Märchen von Männergesangsvereinen in einer leicht überreizten Gesellschaft, die mit der Schlafmütze auf dem Kopf von einer Nation träumt.

Dabei bedient sie sich bei Büchern, die eine vermeintlich deutsche Gedankenwelt festhalten wollen, kurz bevor sie mit der Industrialisierung für immer schwindet. „Des Knaben Wunderhorn“ oder die Märchensammlung der Gebrüder Grimm bevölkern in mannshohen Ausgaben die Bühne, dienen als Gesangspodium oder Tafel zum Erfassen von Regelverstößen. Es scheint, als geschehe alles unter dem Einfluss des in diesen Folianten imaginierten Volkstons. Ihre Figuren erwachen sogar zum Leben und stürzen die Szenerie in heilloses Durcheinander, mit geilen Zwergen, poppenden Puppen und fickenden Fröschen, die partout nicht zu Prinzen werden wollen. Nein, das ist keine Rückkopplung von Frank Castorfs sporadisch lüsterner Götter-Niedertracht im „Ring“, drüben auf dem Grünen Hügel.

Herheim wendet in Salzburg zudem Wagnerregiehilfsmittel Nummer zwei an: Alles ist nur ein Traum – wie wir es im „Fliegenden Holländer“ gewohnt sind und auch für „Lohengrin“ heuer ohne Widerstände zur Kenntnis nehmen. Wer hier allerdings träumt, lässt sich nicht bis ins Detail ergründen, die Regie bleibt seltsam unscharf. Gehen wir einmal davon aus, dass Wagner, Sachs und Beckmesser Aspekte einer Person sein könnten. Sie erschafft unter Anfällen von Unmut das Spiel um die deutsche Kunst als erträumtes Zentrum eines Gemeinwesens. Daher muss Hans Sachs (Michael Volle) auch extra viel poltern, spürt er doch, dass es sich lediglich um die Projektionen eines politisch Resignierten handelt, der allein in ästhetischer Ordnung sein Heil sucht.

Herheim setzt zu sehr auf freundliches Tricksen

Wagner als Spitzwegfigur, das hat durchaus kruden Charme. Zumal Herheim dem Festspielbetrieb ordentlich Zucker gibt: Biedermeierkommoden ragen als Wohnhäuser der Nürnberger Meister empor, ein Alice-in-Wonderland-Effekt, wie auch die ausgestanzt wirkenden Lehrbuben und kichernden Schürzenmädel. Zum Finale schiebt sich gar die erste Dampflok in deutschen Landen auf die Bühne. Fauchend verkehrte der „Adler“zwischen Nürnberg und Fürth. Wagner nahm den Schienenbau bei seinem Besuch nicht wahr, wie Chronisten bezeugen. Für ihn blieb Nürnberg ein lebensgroßes Freiluftmuseum, die Heimat seiner Meistersinger – einer Phantasmagorie.

Sie durch Herheims Brille zu betrachten, macht leider nicht wirklich glücklich. Zu sehr setzt der Regisseur auf freundliches Tricksen, ohne zu wirklich zugespitzen Bildern zu gelangen. Die letztlich leer bleibende Gedankenmitte offenbart sich auch in bestürzend ungeschickten Bühnenabläufen. Ähnlich inkonsistent wie Herheim agiert auch Daniele Gatti am Pult der Wiener Philharmoniker. Zu behäbig für den angestrebten Kammermusikton, in der Partitur herum stochernd und Zufallsfunde breittretend. Unverlässlich und letztlich zu laut für die Sänger. Das schlägt stark auf die Orchesterform, die Hörner trudeln fatal im Spannungsabfall.

Liegt ein Fluch über den Inszenierungen?

Auch das Sängerensemble enttäuscht: Während der präsente, nur im 3. Akt nachdrückende Michael Volle als Sachs Format beweist, begnügt sich Roberto Saccà als Stolzing mit dem Absingen seines Preislieds in Kammersängermanier. Sonst ist er nicht vorhanden. Anna Gablers Eva bleibt ebenso blass wie mancher Meistersinger, nur Georg Zeppenfeld als Pogner gereicht seiner Zunft zur Ehre. Die zu leicht dimensionierten Stimmen von Peter Sonn als David und Markus Werba als Beckmesser passen nicht in den plüschigen Klangrahmen des Dirigats.

Da nun auch unsere letzte Regie-Hoffnung schwinden musste: Liegt ein Fluch über den Inszenierungen des Jubiläumsjahrs? Nein, wir sind so umfassend versorgt, dass es an ein Wunder grenzte, würden wir ausgerechnet zum 200. Geburtstag mit neuen Einsichten überrascht. So war es denn bei Castorfs Bayreuther „Ring“ auch eher die Frage, ob seine Lust ausreichen würde, die 16-stündige Tetralogie zu stemmen, sie umfassend in Castorf-Theater zu verwandeln. Klare Antwort: nee. Für neue Erklärungsansätze zu Wagners Welttheater scheint unsere Zeit nicht reif. Guy Cassiers’ „Ring“ für die Berliner Staatsoper entfesselt nur noch Pixelfluten. Hier ist jede Hoffnung ersoffen, etwas Sinnhaltiges erhaschen zu können. Wagners Geburtsstadt Leipzig startet ihren ersten Nachwende-„Ring“ in der verschlungenen Regie von Rosamund Gilmore, Gründerin der Laokoon Dance Group. Tänzer bevölkern als „mythische Elemente“ eine Bühne, der mit Anstrengung Ewigkeitscharakter eingehaucht werden soll.

Wagner braucht sein Jubiläumsjahr nicht

Auch Piratenaktionen vermögen keine neuen Akzente im Jubiläumsjahr zu setzen, wie Christoph Stölzls im April an die Staatsoper bugsierter „Fliegende Holländer“ beweist, der bereits 2009 in Basel herauskam. Obwohl Stölzls blutige Zurichtung im Prinzip funktioniert, verrät sie wenig über den Jubilar. Richard W. entkommt einmal mehr seinen Interpreten, die sich stets zielsicher auf Senta stürzen, die Fantastin, die Hysterikerin. Was Wagner in seine Liebesverbots- und Erlösungsexzesse trieb, bleibt im Verborgenen. Unterdessen ruft es aus Düsseldorf „Skandal!“. „Tannhäuser“ wird hier mit Vorspiel in der Gaskammer dargeboten, Erschießungen auf offener Bühne folgen. Zuschauer müssen in ärztliche Behandlung, die Inszenierung wandert auf den Müll. Gerät die Freiheit der Kunst ausgerechnet im Wagnerjahr in Gefahr? Durch dröhnende Regiegedankenlosigkeiten jederzeit.

Wagner braucht sein Jubiläumsjahr nicht. Wir hatten ihn und seine Zumutungen gar nicht vergessen. Auch die Bücherflut zum 200. Geburtstag (siehe Tagesspiegel vom 22.7.) belegt vor allem: Die Exegeten bewegen sich in einer Endlosschleife, wenden ihren bestens erforschten Gegenstand ein ums andere Mal, nicht selten sauertöpfisch. Zwei langgediente Wagner-Dirigenten fanden einen Ausweg aus diesem Spiegelkabinett – und werden dafür frenetisch gefeiert: Marek Janowski führt Wagners Opern konzertant mit seinem Rundfunk-Sinfonieorchester auf, Daniel Barenboim triumphierte jüngst mit der Staatskapelle und dem „Ring“ bei den Proms in London. Hören will man Wagner – selbst, wenn man ihn nicht mehr sehen kann.

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