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Kultur: Ring frei

Mitten im Leben: Die neue konservative Stimmung bietet für die Oper auch Chancen

Noch glimmt das Feuer. Ab und zu pustet einer in die Glut, dann stieben Funken – und Stuttgart, das Zehelein-Haus, wird mal wieder „Opernhaus des Jahres“. Oder die Boulevardgazetten machen eine ganz besonders eklige Form von „Ekel-Theater“ ausfindig, mit Ekel-Bildern und ekligen Schlagzeilen. Sonst aber brennt hier nichts. Kein künstlerischer Kampfgeist, keine Fackel der Empörung, kein Herz. Das Regietheater hat es sich im politisch Korrekten gemütlich gemacht. Geköpfte, Geschändete, Autisten, Masochisten – alles total normal.

Oper wie aus dem Leben gegriffen.

Mozarts „Entführung“ im Bordell oder Kálmáns „Csárdásfürstin“ im Dresdner Schützengraben, ja, da loderte der alte Furor noch einmal auf. Darüberhinaus hat die Gesellschaft verstanden. Kleiner Schönheitsfehler: Der kritisch-kathartische Blick auf die Wirklichkeit, den die Oper sie lehren wollte, hat weniger die Welt verändert als die Oper selbst. Der alte Bumerang. Das bürgerlich-repräsentative Theater jedenfalls, diese Selbstfeier der Mottenkiste, es hat sich bis auf ein paar unverwüstliche Museumsstücke des Repertoires in München oder Wien endgültig abgelebt. Übrig blieb und bleibt – nahezu gegenstandslos – seine ästhetische Kritik. Die Dekonstruktion der Dekonstruktion. Womit der jüngste Rechtsruck, jener „Opernkonservatismus“, den nicht nur die „Zeit“ im Nachhall des Berliner „Idomeneo“-Eklats nun zum Anlass einer neuerlichen Regietheater-Debatte nimmt, auf Anhieb einleuchtet. Minus mal minus ergibt eben plus.

Die alten Recken der dialektischen Aufklärung (Neuenfels, Chéreau, Konwitschny, Nel, Kupfer & Co.), sie mögen noch das eine oder andere aufrüttelnde Glanzlicht setzen. Ihren Nachfolgern gelingt das zumeist nicht mehr. Eher mattes Epigonentum also zwischen Cottbus und Saarbrücken, emsige Parasitenwirtschaft. So kann man das sehen. Vielleicht zeigt sich aber auch erst im Stillstand, in der Krise, wozu das Regietheater gut war und gut ist: Zur Selbstbefreiung beispielsweise, zur Emanzipation vom Begriffenen mit der Kraft des Begriffs. Dafür zumindest mehren sich in der Oper glaubhaft die Symptome. Und warum sollte jener Neo-Konservatismus nicht dazu dienen, den alten Trotz neu zu wecken, die Lust am Widerstand, an der Opposition?

Die Symptome: Da sind die Dirigenten, die sich verstärkt in ihre Elfenbeintürme zurückziehen. Sowohl Christian Thielemann in Bayreuth als auch René Jacobs bei den Innsbrucker Tagen für Alte Musik etwa garnierten sich diesen Sommer mit Regisseuren, die ihnen keinesfalls „gefährlich“ werden konnten. Prompt ist die Rede davon, dass das Musiktheater die Musik neu entdecke, die Regie „neue Verbindlichkeiten“ eingehe. Und sind sich Dirigenten und Regisseure in der Historie auch selten je auf Augenhöhe begegnet: In ihrer Gleichberechtigung schlummert ein großes Versprechen.

Vordringliche Aufgabe – der Intendanten. Ermunterten diese zuletzt dezidierte Regie-Außenseiter zum Mittun, so wissen sie heute um das Scheitern der Strategie. Doris Dörrie, Bernd Eichinger und Tankred Dorst fehlt ganz einfach die Bühnenerfahrung, das Handwerk. Die Folge: Reihenweises Einknicken vor der Übermacht der Musik, oberflächliche Zeitgeist-Staffagen, lähmende Konventionalitäten. Und kein Stück Erlösung.

Zum anderen aber sind da die ganz Jungen, die sich für ideologische „Eckpunkte“ naturgemäß nicht interessieren. An hermeneutischen Interpretationen liegt ihnen so wenig wie an der Werkheiligkeit. Zynisch, wer heute mit Mitte 20 noch das große Ganze beschwört oder den Mut zur Ewigkeit (unlängst belegt von „K.O.5 ... es juckt so!“ im HAU1, einem Projekt Berliner Musiktheater-Studenten). Konwitschnys Stuttgarter „Zauberflöte“, Schlingensiefs Bayreuther „Parsifal“ haben ein ganz ähnliches Unbehagen formuliert. Wo es allerdings keine Dirigenten gibt, die dieses musikalisch legitimieren, und keine Intendanten, die ihre Hände darüber breiten – da wird der Ruf nach neuen Stücken immer lauter. Das ist wünschenswert. Nur hat der Kulturbetrieb die Produktion neuer Opern in der Vergangenheit nicht eben provoziert.

Das Regietheater also ist so gut wie tot und es wird über kurz oder lang auch ein Sterben des Repertoires nach sich ziehen. Die Frage ist: Was geschieht bis dahin? Was geschieht, bis sich eines fernen elysischen Tages die Schere wieder schließt, Oper ganz selbstverständlich zeitgenössische Oper meint und es lächerlich sein wird, wie zu Mozarts Zeiten, überhaupt Musik von Toten aufzuführen? Wie immer in Phasen gesteigerter Dekadenz bläst den Opernhäusern gerade eine steife, wertkonservative Brise ins Gesicht, wie gesagt. Dass gewisse Publikumskreise die „Idomeneo“-Affäre an der Deutschen Oper dazu nutzen würden, ihre Ur-Wut auf Neuenfels & Co. herauszuschreien (und der Absetzung der Produktion so a posteriori eine höchst fragwürdige Begründung zu verpassen), war klar. Allenfalls erschrickt man vor der ungebrochenen Militanz der Reaktion, dem Pöbelton.

Dass Figuren des öffentlichen (Medien-)Lebens sich in Sachen Hochkultur einmischen, ist hingegen neu und hat sehr rasch ein Klima der moralinsauren, gönnerhaften Beckmesserei kreiert. Wo Ulrich Wickert den zerknirschten Günter Grass zur zweitbesten Sendezeit am Nasenring spazieren führt, da wandelt Elke Heidenreich für die Deutsche Bahn auf Mozarts Spuren; und wo Günther Jauch nicht müde wird, den Bildungszerberus der TV-Nation zu spielen, da ist es wiederum Heidenreich, die anlässlich eines Glyndebourne-Besuchs in der „FAZ“ jene Tugenden des deutschen Opernbetriebs geißelt, die das Feuilleton des Blattes jahrzehntelang mit den Errungenschaften der Frankfurter Schule unterfütterte und nährte. „Zum Teufel mit all dem“, schreibt Heidenreich, zum Teufel mit der Dauermäkelei, dem „unseligen Adorno“, mit „Nacktheit, Blut, Sperma, Nazistiefeln“ auf offener Bühne: „Lasst uns doch alle zusammen im dunklen Opernhalbrund sitzen, ohne Verachtung füreinander, nur mit dieser Freude, der Musik zuzuhören.“

Ganz so flugs freilich lässt sich die ästhetische Schraube gottseidank nicht zurückdrehen. Denn Operngeschichte ist Rezeptionsgeschichte. Wer Chéreaus Jahrhundert-„Ring“ in Bayreuth erlebt hat, der kann vor Tankred Dorst nur davonrennen; und wer Christof Nels Frankfurter „Salome“ kennt, der tut sich für den Rest seines Lebens schwer mit den triefend abgeschlagenen Häuptern des Jochanaan. Partituren haben ein Gedächtnis. Und es gibt auch ästhetisch gültige, ihre Zeit überdauernde Lösungen. Ein tantenhaftes Augenzwinkern überm Lesebrillengoldrand macht diese nicht vergessen. Dass die „Zeit“ Heidenreichs „Zornesrausch“ wesentlich mit zum Anlass nimmt, um den alten Werktreue-Streit in die x-te Runde zu schicken, spricht allerdings auch für sich.

Damit wäre eigentlich alles wieder gut. Das Musiktheater steht mitten im Leben, mehr als ihm derzeit lieb sein dürfte. Und die Wertehüter krempeln die Ärmel hoch. Es ist an den Künstlern der Zukunft, den Regisseuren und den Dirigenten, sich zu ihrer Tradition zu bekennen. Ob aus der „Weitergabe des Feuers“ nun weitere Exzesse erwachsen oder neue erzählerische Bescheidenheiten – eines gilt sicher nicht: die Rolle rückwärts.

Christine Lemke-Matwey

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