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Kultur: Risiko als Schönheit begreifen

Die Kremerata Baltica im Konzerthaus.

Es kann einem kaum Schöneres passieren, als Schülern des großen Cellisten Boris Pergamenschikow zuzuhören. Der 2004 gestorbene russische Musiker scheint magisch die größten Individualisten angezogen und in ihrer Eigenwilligkeit noch bestärkt zu haben. Zu den klangmächtigsten oder virtuosesten Cellisten gehört Nicolas Altstaedt vielleicht nicht, aber gestische Lebendigkeit und musikalische Wachheit seines Spiels wirken unübertrefflich. Im leider nur dürftig gefüllten Konzerthaus am Gendarmenmarkt gibt Altstaedt mit der Kremerata Baltica Haydns C-Dur-Konzert und eine Fantasie des Finnen Aulis Sallinen. Wie Mesut Özil liebt es der Cellist, den „Ball“ mit einer einzigen Berührung an den Mitspieler weiterzuleiten, statt sich als Solist groß aufzuspielen. Dort, wo der musikalische Ablauf absehbar ist oder das harmonische Geschehen ohnehin vom Orchester abgebildet wird, nimmt sich Altstaedt bis zur Unhörbarkeit zurück. Dadurch zieht er den Klang des Ensembles und damit die Aufmerksamkeit des Zuhörers zu sich in die Mitte; selten fühlt man sich im problematischen Saal des Konzerthauses den Musikern so nahe. Die Kadenzen im Haydn-Konzert inszeniert der Cellist vollends als Dialog mit der Stille, als Balanceakt auf der Kante zum Nichts.

Das baltische Orchester erweist sich im Konzert als idealer Partner. Den nicht ganz so bekannten Werken von Sumera, Nielsen und Sallinen widmet sich die Kremerata mit derselben Detailversessenheit und Leidenschaft wie Haydn und Mozarts Serenata notturna nach der Pause. Anders als bei vielen anderen Ensembles, die ohne Dirigent auftreten, scheint bei diesem Orchester das gemeinsame Musizieren weniger auf Absprachen als auf der Aufmerksamkeit im Augenblick, auf gemeinsamem Atmen und auf Blickkontakten zwischen allen Beteiligten zu beruhen. Wie Nicolas Altstaedt mit Boris Pergamenschikow verfügt ja schließlich auch die Kremerata Baltica mit Gidon Kremer über einen Mentor, der das Risiko als Schönheit begreift.

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