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Kultur: Ritt in die Kreidezeit

Der Pariser Salon du Dessin bietet nach wie vor exzellente Altmeistergrafik, konkurriert aber zunehmend mit den Auktionshäusern. Das hat Einfluss auf die Preise.

Schon von Weitem leuchtet der rote Schal durch die Besuchermenge, die sich am Eröffnungstag im Salon du Dessin in der alten Pariser Börse drängt. Der Schal ist das Erkennungszeichen von Pierre Rosenberg, dem früheren Direktor des Louvre, der es sich auch zwölf Jahre nach seiner Pensionierung nicht nehmen lässt, das Angebot an Zeichnungen und überhaupt Papierarbeiten zu sichten. Gerade hat er in der Koje der Münchner Kunsthandlung Arnoldi-Livie Halt gemacht, aber nicht die Bleistiftzeichnung der „Zwei Schlafenden“ von Balthus hat es ihm angetan, sondern das großartige Blatt, Giulio Campi (1512–1572) zugeschrieben, das den biblischen Samson zeigt, wie er den Palast der Philister zerstört. Es ist jedoch kein archaischer Bau, dem Samson die tragenden Säulen zerschmettert, sondern eine Renaissance-Architektur. So mag man das Blatt auch als Warnung vor dem Hochmut der eigenen Zeit lesen.

Eine biblische Szene in die eigene Zeit zu verlegen und eine regelrechte Architekturstudie zu schaffen, ist auch bei Sebastiano Concas (1676–1764) schöner Federzeichnung von „Alexander d. Gr. im Tempel von Jerusalem“ (um 1735) zu beobachten, die die Pariser Galerie Terrades zeigt. Da lässt der Tempel eher an den Innenraum der Salute in Venedig denken. Und vollends eine detailgenaue Architekturdarstellung mit lediglich beigeordneter Handlung ist das herrliche Blatt von Johann Wilhelm Baur, das im Stand von Didier Aaron (Paris) die Pilatus-Szene der Evangelien zeigt. Der dreistöckige Palast im Hintergrund besticht durch seine gemäß den entsprechenden Traktaten ausgeführte Säulenordnung.

Wie stets, ist auch diese 22. Auflage des Salon du Dessin eine Messe der Angebotsvielfalt. Unter den 39 teilnehmenden Galerien wagt nur eine einzige, Applicat- Prazan aus Paris, eine monografische Ausstellung mit Arbeiten des Abstrakten Maurice Estève (1904–2001). Allenfalls die Galerie de la Présidence (Paris) kommt dem nahe: Sie hat die Hauptwand der Koje mit abstrakten Kompositionen von Geer van Velde (1898–1977) zumeist aus den 1950er Jahren gefüllt und daneben zeitgleiche Arbeiten von Henri Michaux oder Ossip Zadkine im Programm, aber auch ein farbiges Blatt des Realisten Marcel Gromaire (1928), von dem man auf der Messe kaum je etwas findet.

Es scheint, dass der Salon diesmal überhaupt farbiger ist als zuvor, zumal die Grenze zur Ölskizze und -studie mehr als einmal überschritten wird. Pastelle, Aquarelle, Gouachen, Buntstiftzeichnungen wetteifern um den farbkräftigsten Eindruck, so dass die klassische Zeichnung in Blei, Feder oder Rötel buchstäblich übertönt zu werden droht. Wenige Teilnehmer sind so konsequent wie Eric Coatalem (Paris), der ganz überwiegend Akte und Figurenstudien aus dem 17. Jahrhundert zeigt, darunter von Simon Vouet sowie von Eustache Lesueur eine Gewandstudie. Auch Thomas Le Claire aus Hamburg ist zu nennen, der eine romantische Landschaft von Pierre-Henri de Valenciennes (1750–1819) im Angebot hat, allerdings auch ein Aquarell mit Schiffen unter düster dräuendem Himmel von Emil Nolde. „Es besteht der Eindruck, dass wir durch den Erfolg der Auktionshäuser aus dem Markt gedrängt werden“, erläutert Gerhard Kehlenbeck von Le Claire Kunst: „Jüngst war die Konkurrenz bei Auktionen so stark, dass Händler kaum mitbieten konnten. Deshalb ist diese Messe für uns sehr wichtig. Wir verkaufen hier außerordentlich gut.“

Hubert Robert ist auch diesmal in mehr als einer Koje zu finden. Für die Seitenansicht des Portikus des Pantheons in Rom in roter Kreide von 1762 werden bei Day & Faber (London) 78 000 Euro gefordert, während bei Paul Prouté für eine Rötelzeichnung eines gemauerten Taubenschlages lediglich 26 000 Euro angegeben sind. Das mag mit dem jeweiligen Sujet zusammenhängen. Da Christie’s parallel zum Salon erneut zwei Auktionen nur mit Zeichnungen in Paris ausrichtet, bei denen Robert ebenfalls gut vertreten ist, sind Preiskorrekturen zu erwarten. Überhaupt gibt es immer wieder Angebote, die auf aktuelle Ereignisse anspielen. So hat Day & Faber ein großformatiges Blatt des kaum bekannten William Quiller Orchardson im Angebot, das Napoleon 1815 auf der Überfahrt in die Verbannung zeigt, eine eher fleißige denn künstlerische Darstellung. Mit Blick auf die aktuelle Napoleon-Ausstellung im Pariser Armeemuseum werden dessen ungeachtet 52 000 Euro angesetzt.

Le Corbusier, in jüngster Zeit als Maler wiederentdeckt, ist bei Michel Zlotowski (Paris) mit drei kleinen Blättern zu sehen – wenn man die Bleistift- oder Buntstiftzeichnungen (1940–1958) überhaupt entdeckt, so unmöglich, wie sie an den Seiten eines Stützpfeilers aufgehängt sind. Manche Galerien, wenn nicht die Mehrzahl, überfüllen eben ihre Kojen. Da geht dann auch die Bleistiftzeichnung von Adolph Menzel, „Mann mit Schnurrbart und Hut“ von 1892 bei Bellinger-Colnaghi (London) unter. Übrigens hätte man parallel zur Malereiausstellung des Louvre „Über Deutschland. 1800–1939“, doch mehr Deutsches erwartet, nicht zuletzt Landschaftszeichnungen der Romantik, an denen ein breiter und sehr wohl internationaler Sammlerkreis Interesse hat.

Eine Pointe hat der Salon du Dessin parat: die Koje „Anonyme Zeichnungen“. Die Händler können dort Arbeiten anbieten – im Unterschied zu den sonstigen, auf stille Verhandlungen gerichteten Gepflogenheiten mit voller Preisangabe –, deren Autorschaft bislang nicht geklärt ist. Da findet sich eine feine Paris-Vedute um 1850 für 3000 Euro, eine italienische Bauernhochzeit des 18. Jahrhunderts in Feder und Tinte für 7500 Euro und ein großes Pastell aus dem Umkreis von Jules Chéret (1836–1932), für das ungeachtet ungesicherter Zuschreibung glatte 20 000 Euro gefordert werden. Nun, für Schnäppchen war der in der alten Börse stilvoll untergebrachte Salon noch nie der rechte Ort, wohl aber die passende Bühne für ein internationales Publikum, das von Euro- und Europakrisen ganz offenkundig unbeeindruckt geblieben ist.

Salon du Dessin, Paris, bis 15. 4., www.salondudessin.com

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