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Kultur: Ritter der Rumpelkammer

Pfingstfestspiele Baden-Baden: Kent Nagano dirigiert einen überwältigend klaren „Lohengrin“

Es sind im Grunde schon die allerersten Takte des „Lohengrin“, in denen sich ein Dirigent entscheiden muss, wie er es mit Wagners Heilsbringerbotschaft halten will: Hüllt er die Geigenstrahlen in auratischen Schimmer und zelebriert das Hinzutreten der einzelnen Stimmen als schwebendes Klanggewölbe oder entzaubert er das Phänomen und ersetzt das spirituelle Leuchten des Grals durch das Licht der Aufklärung?

Im Festspielhaus von Baden-Baden herrscht volle Klarheit. Das „Lohengrin“- Vorspiel wird zum Klangprisma, aus dem die Einzelstimmen in markanter Farbigkeit und absoluter Geradlinigkeit herausstrahlen und einen dynamischen Prozess von physikalischer Folgerichtigkeit in Gang setzen. Und dennoch ist diese Klarheit nicht kalt oder gar banal: Der Stringenz der Form steht eine Intensität des Klanges gegenüber, die sie mit Leben, ja mit metaphysischer Bedeutung füllt. Die jenseitige Verheißung des Grals – so wird auf faszinierende Weise hörbar – liegt in der Verschmelzung von Hellsichtigkeit und Spiritualität.

Fast klingt es, als sei in diesen knapp zehn Minuten Musik die ganze Musikerpersönlichkeit Kent Naganos verdichtet. Auch in seinen Berliner Jahren als Chef des Deutschen Symphonie-Orchesters ist es ihm stets darum gegangen, die analytische Durchdringung durch die Beseelung des Klangs zu sublimieren (etwa anhand der Sinfonien Bruckners und Mahlers eine klarsichtige Spiritualität zu formulieren, die ohne alle theatralischen Überwältigungsstrategien auskommt). Weshalb Nagano auch nie ein Dirigent für zweitklassige Musik war – der Gedanke, eine Partitur besser zu machen, als sie ist, liegt seinem formbewussten Geist absolut fern. Im Gegenteil: Floskelwerk und Ungereimtheiten in der Substanz treten bei ihm so unerbittlich hervor wie derzeit bei kaum einem anderen Dirigenten.

Im „Lohengrin“ führt das zu einer verblüffenden Erkenntnis. Unerbittlich offenbart Nagano, dass Wagner das Füllwerk der Grand-Opera-Konvention nutzte, um die Sphären von Gralsritter und intriganten Erdenmenschen voneinander abzusetzen. Wie stilistisches Patchwork stehen die sphärischen, fast an Ligetis „stehende Klänge“ erinnernden Szenen von Lohengrins Auftritt und Abschied neben den Duetten nach dem Schema der italienischen Oper, in denen von Intrige und Misstrauen die Rede ist – und auch neben Ensembles, deren blechernes Blendwerk unverhohlen den Pomp der Meyerbeer’schen Grand Opera zitiert. Statt nach herkömmlicher Kapellmeistertradition mit Verve und Impetus die vermeintlichen Schwächen der Musik zu kaschieren, legt Nagano ihre Heterogenität bloß und offenbart sie zugleich als sinnstiftend – dass der reine Gralsritter in dieser musikalischen Rumpelkammer keinen Platz hat, ergibt sich so schon aus formalen Gründen.

Dass diese musikdramatische Disposition Wagners in Baden-Baden so frappierend klar wird, liegt jedoch auch daran, dass die Besetzung dieses stilistische Patchwork reflektiert. Denn so schubertisch klar, wie Klaus Florian Vogt den Lohengrin singt, hat er mit einem Theatertier wie Waltraud Meiers Ortrud, dem raumgreifenden Selbstbewusstsein von Hans Peter Königs Prachtbass (König Heinrich) oder auch mit der angestrengten Grimmigkeit von Tom Fox’ Telramund nichts gemein. Vogt gilt derzeit als der Lohengrin schlechthin, und man versteht sofort warum – sein Tenor ist von einer fast asexuellen Reinheit und Verletzlichkeit des Timbres, die ihn zur sanften Erlöserfigur prädestiniert. Dass die Stimme in den tiefen Passagen der Rolle an ihre Grenzen stößt, wiegt demgegenüber gering. Auch Solveig Kringelborn ist stimmlich eine Elsa, die eher daran erinnert, wie man diese Partie wohl zu Belcanto-Zeiten besetzt hat: kein breit strömender lyrischer Sopran, sondern eine zarte, verängstigte Frau, der die Sehnsucht nach Sicherheit in die Kehle geschrieben ist.

Ein „Lohengrin“ mithin von musikalischer Ereignisqualität, zumal die vereinigten Chöre der Oper von Lyon und der europäischen Chorakademie dem Geschehen einen sicheren, homogen-voluminösen Rückhalt bieten.

Dass demgegenüber die Szene wenig bedeutsam ausgefallen ist, darf verschmerzt werden. Angesichts der Koproduzenten (die Mailänder Scala neben der Opéra de Lyon) hielten sich die Erwartungen an innovatives Regietheater ohnehin in Grenzen, und auch dem Festspielpublikum dürfte eher an einem festlichen Rahmen für große Stimmen als an experimentellen Werkexegesen gelegen haben. Die Bühnenbilder des Architekten Stephan Braunfels verraten denn auch nichts von dem interpretativen Ehrgeiz, den etwa Herzog und De Meuron jüngst bei ihrer „Tristan“-Inszenierung an der Berliner Lindenoper zeigten: Das amphitheatralische Halbrund des ersten und die bühnenbreite Treppe des zweiten Aktes erinnern in ihrem schmucklosen Grau eher an die Bayreuther Nachkriegsästhetik Wieland Wagners, und auch Nikolaus Lehnhoff beschränkt sich im Wesentlichen aufs würdevolle Arrangieren: Die Leidenschaftlichkeit einer eigenen Aussage entwickelt Lehnhoff nur in der Brautgemachszene, in der er Lohengrin plötzlich als Alter Ego Wagners am Klavier sitzen lässt. Sinn macht das in diesem Zusammenhang allerdings nicht.

Große Sänger, ein großer Dirigent und eine repräsentative Szene – im Grunde bekommt das Publikum in Baden-Baden mittlerweile genau das, was es auch auf dem Grünen Hügel von Bayreuth gerne hätte. Und muss nicht mal zehn Jahre auf die Karten warten.

Jörg Königsdorf

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