zum Hauptinhalt
Mädchen, ich will dich! Joachim Meyerhoff als Friedrich Graf Wetter vom Strahl und Anne Müller als Käthchen. Foto: Bresadola/Drama

© Bresadola/drama-berlin.de

Kultur: Ritter von der albernen Gestalt

Zotteln, Rauch, Geschepper: Jan Bosse eröffnet mit dem „Käthchen von Heilbronn“ das Kleistfestival am Maxim Gorki Theater

Seit Wochen wurde getrommelt für den Höhepunkt des Kleistjahres, am 21. November jährt sich der Todestag des Dichters zum 200. Mal. Schon seit Anfang des Jahres verteilt das Gorki-Theater das dicke Programmheft zu seinem Festival, das bis zu jenem Tag alle Stücke von Kleist zeigen wird, zusätzlich noch Erzählungen dramatisiert hat und im Haus und ums Haus herum allerlei Installationen und Performances präsentiert. Kleist total. So total, dass zum Beginn der Eröffnungsinszenierung der bald nach Stuttgart abdampfende Intendant Armin Petras vors Publikum trat („das erste Mal überhaupt“), um das Festival zu eröffnen und sich bei Geldgebern wie der Bundeskulturstiftung zu bedanken. Für den Hype, für die hochgespannte Erwartung kann Regisseur Jan Bosse natürlich nichts. Für die Stückwahl aber schon.

Warum Bosse sich ausgerechnet das „Käthchen von Heilbronn“ vorgeknöpft hat, wurde schon in dem Interview, das er vor einigen Tagen der „Berliner Zeitung“ gab, nicht klar. Der unerhörten absoluten Liebe des unerhört reinen und idealisierten Käthchens, das beim Eintritt des Grafen vom Strahl in die väterliche Ritterrüstungswerkstatt erstarrt wie beim Anblick einer Erscheinung und darauf vor lauter Unbedingtheit gleich aus dem Fenster springt (und sich die Beine bricht) – dieser Liebesbehauptung stand Bosse ungläubig gegenüber. Aber auch der Rest des Stückes kam ihm kolportagehaft vor. Stimmt ja auch: Brennende Burgen, Engelserscheinungen, Femegericht! Und dann dieses romantisierende Rittergedöns, das genauso lachhaft um Aufmerksamkeit buhlt wie das Gebrüll eines zotteligen Feuerschluckers auf einem heutigen Mittelaltermarkt. Kleist wollte mit dem Käthchen unbedingt Erfolg haben und griff dafür tief ins Gothic- und Psychothrillergenre, ja sogar in die Science-Fiction-Schublade, indem er Kunigunde, die intrigante, Männer benutzende und auch nicht vor Mord zurückschreckende Gegenfigur zum Käthchen als seelenlose Maschine der Schlechtigkeit wie einen Roboter zusammenbaute. „Unsinn“, sagte Goethe dazu und lachte sich scheckig. Ein Unsinn freilich, in dem auch der Glutkern einer rätselhaften Unerschütterlichkeit recht beängstigend vor sich hin glimmt.

Bosse hat zwar das Käthchen aufgeführt, aber nicht aus ihrem unergründlichen Geist, sondern aus der Mechanik Kunigundes heraus. Die Versatzstücke, die Kleist mühsam zusammengesteckt hat, schraubt Bosse wieder auseinander und führt sie ironisch vor. Mehr als dass er Käthchens Geschichte erzählt, zelebriert er freudig ihre Unglaubwürdigkeit. Das ist zwar gewitzt und auf spitzfindige Weise logisch, aber auch Freibrief für jeden kettenrasselnden Gimmick. Und es kaschiert, dass Bosse das Stück nicht ernst nehmen will (oder kann).

Also: Man macht sich zwischen Sesamstraßenhumor und Heavy-Metal-Posen vor allem einen Spaß. Joachim Meyerhoff als Friedrich Graf Wetter vom Strahl läuft die Hälfte der Zeit in scheppernder Rüstung herum, gibt in der anfänglichen Gerichtsszene den überheblich ungerührten Ritterdesperado mit verrauchter Machostimme. Führt mit kaum verhohlener Rohheit das Käthchen vor, um die eigene Unschuld zu beweisen und steigert sich in der nächsten Szene in eine „Mädchen-ich-will-dich!“ Fantasie hinein, auf den Knien rutschend, die blutunterlaufenen Augen aufgerissen und furchterregende Geräusche unter seinen Zottelhaaren ausstoßend, als wollte er sich als Sänger bei Kiss bewerben. Als er danach wegreiten will, reicht ihm Knecht Gottschalk (Matti Krause, auch er mit obligatorischem Langhaar, die meiste Zeit cool aufs überdimensionale Schwert gestützt) ein Pferd aus Schaumstoff, auf dem er dann von dannen klirrt.

Sabine Waibel gibt Kunigunde als starrgesichtige Mischung aus Vamp, arabischer Bauchtänzerin und Wiedergeburt von E.T.A. Hoffmanns gruseliger Olympia, der vom Strahl in plötzlicher Einfältigkeit schnurstracks erliegt. Da kommt auch schon Albrecht A. Schuch (auch er mit langen Strähnen) als wer auch immer geeilt. Er trägt ein seltsames Gerät, ruft Feuer! und bläst Luft in einen Schlauch, und aus der Flamme in seiner Hand wird eine riesige rauchspuckende Feuerwolke, die fast den Vorhang der Bühne auf der Bühne (Stéphane Laimé) und die überall herum wuselnden Schaumstoffwesen versengt. Denn ein gutes Dutzend der Figuren wird von den skurrilen Schaumstofffiguren (!) des Puppentheaters Das Helmi verkörpert, die zwar lustig aus dem Kartonhaus der Köhlerhütte hervorlugen, sich mit diversen Grafen Kämpfe liefern und dabei auf vielfältige Weise zerrupft werden, den Abend aber vollends in die Albernheit stürzen lassen.

Und das Käthchen? Anne Müller bleibt als einzige ernst. Mit mädchenhafter Unsicherheit dreht sie zwar ständig den Kopf und lässt nervös die Fingerknöchel vorspringen, als koste es sie große Mühe, in dem ganzen Trubel um sie herum standhaft zu bleiben. Aber sie bleibt es. Selbst wenn sie redet, schweigt sie. Versteckt sich in ihr nun das Wissen einer höheren Vorsehung oder doch nur die profane Sturheit eines Kindes, das seinen Teddy partout nicht loslassen will? Keine Ahnung. Um Zwischentöne aufzufangen, ist das Scheppern der Rüstung einfach zu laut.

Wieder am 6. und 21. Dezember.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false