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Roadmovie: Fremd bin ich eingezogen …

Irische Sehnsüchte: Urszula Antoniaks fulminantes Kinodebüt „Nothing Personal“ mit der großartigen Schauspielerin Lotte Verbeek

Am Anfang steht ein Ende. Gierig wühlen die Nachbarn in den Kartons, die vor die Tür gestellt wurden. So viel Plunder, so viel Trödel – ist es das, was von einem Leben bleibt, ein paar Kisten voller wertloser Dinge? Eine leere Wohnung, in der die Sonne auf die Dielen fällt? Ein Ring, mit Mühe vom Finger gestreift?

Am Ende steht ein Anfang. Ein Fenster, ein Fensterladen, ganz leicht nur aufgestoßen, in einer Sommerurlaubswelt, weiße Gassen, in denen die Sonne steht. Das Licht ist draußen, drinnen im Haus ist’s dunkel, und eine junge Frau liegt sinnend, träumend, trauernd auf dem Bett. Ein Anfang? Ein Ende. Aber was für eins.

Und was für ein Weg dazwischen. Ein Weg über einsame, neblige Landstraßen, über rostbraune Hügel voll Heidekraut, ein Weg durch Regen und Wind, und am Abend steht das blaue Zelt so einsam, so verloren da, am Strand, am Wegesrand. Ein Weg, der wegführt von den Menschen, bis am Ende das Ziel erreicht ist, ein leeres Haus, allein auf einer Landzunge. Und darin ein weißes Bett, unwiderstehlich der Drang, sich hineinzulegen, die Glätte zu fühlen, und am Ende ein Zeichen zu hinterlassen, ein einzelnes rotes Haar in all dem Weiß. Sinnlicher geht es kaum, fast unerträglich intensiv.

Es ist die Geschichte einer Wanderschaft, die die polnische Regisseurin Urszula Antoniak erzählt, in diesem Film, der mit niederländischer Crew in Irland gedreht ist. Einer Wanderschaft, die weit wegführt von aller Zivilisation, und dort, am Ende der Welt, den Inbegriff der Zivilisation wiederfindet, und den Glauben an die Menschheit dazu.

Mehr braucht es nicht als zwei Menschen und eine unendlich weite Landschaft, um diese Geschichte zu erzählen, die wie die Ursprungsgeschichte aller Beziehungen und allen Lebens erscheint, archaisch und elementar. Nicht umsonst ist „Nothing Personal“, der seine Premiere 2009 in Locarno erlebte, auf allen Festivals mit Preisen ausgezeichnet worden.

Was zu einem Großteil der Hauptdarstellerin geschuldet sein dürfte. Lotte Verbeek, eine 27-jährige Niederländerin, die bislang hauptsächlich in Fernsehrollen aufgetaucht war, spielt diese Anne, die sich aus ihrer Wohnung in Amsterdam aufgemacht hat, quer durch die irische Wildnis, wie ein wildes Tier, so wild, wie Sandrine Bonnaire einst war, in Agnès Vardas „Sans toit ni loi“. Auch an die junge Tilda Swinton erinnert diese Lotte Verbeek, mit einer Unmenge leuchtend roten Haars, so leuchtend wie die Heide um sie herum, und einem Gesicht, das so durchscheinend wie verschlossen scheint. Bis da mal der Anflug eines Lächelns auftaucht, nur für eine Sekunde, und dann wieder verschwindet, wie ausgeknipst, ist es ein kleines Wunder. Und auch eine Verwunderung, wenn diese Schauspielerin dann während der Berlinale, wo sie als „European Shooting Star“ geehrt wurde, im Trubel des EsplanadeHotels sitzt, so ganz diesseitig, so beweglich wie neugierig, mitteilsam und lebendig, da ist nichts von jener auratischen Entrücktheit, die sie im Film auszeichnet.

Sie will nichts mehr mit der Welt und ihren oft feindseligen Bewohnern zu tun haben, diese Aussteigerin Anne, die ihren Weg so radikal gewählt hat. Sie ist scheu geworden auf ihrer Wanderschaft, verschlossen, rau, unhöflich fast. Schon, dass das Presseheft ihr einen konkreten Namen gibt, scheint zu viel. Auf die Frage, wie man sie denn nennen soll, sagt sie im Film: ganz einfach „Du“.

Doch für ein Du braucht es ein Gegenüber: Martin (Stephen Rea), den Intellektuellen, der allein dort an der Küste lebt, mit seiner Musik und seinen Büchern. Sie haben einen einfachen Deal geschlossen, die Streunerin und der Hausbesitzer: Arbeit gegen Essen. Und bloß keine Fragen, nichts Persönliches, nothing personal.

Es ist die Geschichte einer langsamen Annäherung, einer Annäherung in Gesten, in Blicken, die da erzählt wird, als wär’s zum ersten Mal. Das Essen, dass er ihr auf die Bank vor die Tür stellt, weil sie nicht ins Haus kommen will: ein Liebesbeweis. Der Walkman, der eines Tages dabeiliegt, weil er sie einmal beim heimlichen Musikhören ertappt hat: ein zweiter. Sie haben sich eine Strafe gegeben: Wer die Regel bricht, muss ein Lied vorsingen. Gibt es etwas Persönlicheres? Und er singt: Irischen Folk. Und sie singt: Schubert. Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus …

Irgendwann sagt sie: „So wie du möchte ich auch leben“. Allein in diesem wunderbaren Haus (gedreht wurde in „Illaunroe“ in Connemara, einem Haus, das einst Oscar Wilde gehörte). Allein und weit weg von allem. Doch das, womit er sie ködert, ist das Beste, was die Zivilisation zu bieten hat: Musik, Schuberts „Winterreise“, ein Haus voller Bücher, ein Rotweinglas auf blankgescheuertem Tisch. Schon mit der ersten Geste, mit der sie instinktiv die Tassen im Schrank zurechtrückt, ist klar: Hier ist ein Heim.

Es ist nur konsequent, dass sich in diesem so verstörenden wie tröstenden Film am Ende der Kreis schließt, der Kreis des Lebens, das immer auch ein Abschiednehmen ist. Fast hätte es den Kunstgriff nicht gebraucht, mit dem Antoniak ihren Film kapitelweise rückwärts erzählt, von „Einsamkeit“ über das „Ende einer Beziehung“ und die „Heirat“ bis zum „Beginn einer Beziehung“. Dass eine Beziehung erst dort beginnt, wo die Neugierde aufeinander erwacht, und das gemeinsame Lachen aufkommt, und dass zwar jede Beziehung ein Ende hat, doch davor zumindest einen perfekten Tag erlebt hat, das ist das verführerische Versprechen, mit dem „Nothing Personal“ uns entlässt. Was wäre persönlicher?

Central, Filmkunst 66, fsk 1, Kino in der Kulturbrauerei, Thalia

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