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Kultur: Rocker auf dem Hocker

Fazil Say begeistert beim Konzerthausorchester

Dieser Kerl ist schon ein Ereignis. Chronisch übernächtigt sieht er aus, als er am Sonnabend auf die Bühne des Konzerthauses schlurft, über dem T-Shirt eine kuschelige Hausjoppe mit aufgekrempelten Ärmeln. Doch kaum legt Fazil Say die Hände auf die Tasten, elektrisiert er den Saal. Am Ende von Beethovens C-Moll- Klavierkonzert springen die Leute auf, jubeln, trampeln mit den Füßen. Und das will viel heißen an diesem „Abo F“- Abend, der wirkt, als hätten ihn böswillige Klassikhasser extra arrangiert, um die schlimmsten Thesen vom überalterten E-Musik-Publikum zu bestätigen.

Fazil Say, 1970 in Ankara geboren, an der Berliner Universität der Künste ausgebildet und in den USA zu Ruhm gekommen, wird gerne als Berserker charakterisiert. In der Tat kann er mächtig hinlangen, in der Kadenz des Kopfsatzes entwickelt er geradezu Liszt’sche Virtuosendämonie. Doch wirklich berührend wird es im langsamen Satz, wenn Say mit unendlicher Zärtlichkeit noch den kleinsten Lauf, die unbedeutendste rhythmische Floskel für sich entdeckt. Nichts ist diesem Interpreten unwichtig, jeder einzelne Ton seiner inneren Anteilnahme wert. Fazil Say spielt ein Stück nicht, weil er es kann, sondern weil er muss. Es drängt ihn einfach, aller Welt mitzuteilen, was ihn an den Werken fasziniert – den Zuhörern, aber auch seinen Mitspielern. Man kann förmlich sehen, wie er kommuniziert, die Musik mit dem ganzen Körper weiterleitet, wenn ein anderes Instrument auf eine musikalische Wendung antworten oder seine Klavierlinie fortspinnen soll.

Um Gedankenaustausch geht es Fazil Say auch in seinen eigenen Kompositionen. Am Sonnabend wird er das Violinkonzert „1001 nights in the harem“ geben, mit Says Musikerfreundin Patricia Kopatchinskaja als leidenschaftlicher Solistin. Ein kurzweiliger Mix aus allen nur erdenklichen Stilen ist das, von Tanzrhythmen angetrieben in ihren besten Momenten. Musik, die von der unstillbaren Neugier dieses Weltbürgers erzählt.

So quecksilbrig das Konzerthausorchester zu Beginn die Ouvertüre zu Mozarts „Entführung aus dem Serail“ spielt, so engagiert sich Dirigent John Axelrod später bemüht, mit intensiver Armarbeit Haydns „Militärsinfonie“ zu verlebendigen – Fazil Says Interpretenpersönlichkeit überstrahlt einfach alles an diesem Abend. Unwillkürlich muss man an Lang Lang denken. Beide Pianisten vollführen eigenwillige Choreografien auf dem Klavierhocker, beide arbeiten sich spielerisch an den Musiktraditionen ihrer Heimat ab. Doch wie unnatürlich wirkt der Chinese im Vergleich zu Says mitreißender Authentizität. Geradezu wie die Blockbuster-Version seines türkischen Kollegen: So sähe wohl der putzige Tastenheld in einem Disney-Zeichentrickfilm über Fazil Say aus.

Noch vier Mal wird das Original im Rahmen seiner Residence beim Konzerthausorchester zu erleben sein, am 20. Februar, 1. April sowie 9. und 16. Juni. Unbedingt hingehen – und die Enkel mitnehmen! Frederik Hanssen

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