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Kultur: Rohe Kraft

Alan Gilbert dirigiert erstmals die Staatskapelle.

Fast hätte „Sandy“ sein Debüt mit der Staatskapelle von der Agenda gefegt. Aber mit zwei Tagen Verspätung hat es der New Yorker Alan Gilbert doch nach Berlin geschafft. Hurrikanartig braust er durch Beethovens Fünfte, als gälte es, verlorene Zeit aufzuholen. Mit diesem radikalen Zugriff offenbart er die naturgewaltige Wirkung des musikalischen Monuments. Doch überwältigt der mit „Allegro con brio“ überschriebene Kopfsatz weniger durch strahlenden Glanz als durch rohe Kraft, die keinen Gedanken an Klangschönheit verschwendet. Was überzeugend beginnt, erweist sich im Andante con moto als problematisch: Dem Satz folgt kein Gegensatz. Das Liebliche bekommt kaum Raum. So lässt Gilbert das Orchester unnachgiebig auf den Schluss zudonnern.

Sein Barbaro-Stil liefert die Verbindung zu Bela Bartoks „Herzog Blaubarts Burg“. Die Gewalt, die das fragile Mysterium dieses verstörenden Einakters wie ein Mantel umhüllt, steht bei Gilbert zwischen Judith und Blaubart im Raum. Klangliche Trockenheit verhindert jede Täuschung durch die sinnlichen Ausbrüche, denen Judith fatalerweise erliegt. Feinfühlig balanciert Michelle De Young Verunsicherung und Hartnäckigkeit im souverän geerdeten Klang ihrer Stimme. Die Verschlossenheit, die Falk Struckmanns Bassbariton dem entgegensetzt, antizipiert den Schmerz über die unausweichliche Eskalation der Gewalt, die sich hier nicht wie bei Beethoven ins Utopische entlädt, sondern ins sanfte Grauen, als gälte es Nietzsches Diktum „Schmerz ist der Grundton der Natur“ in Musik umzusetzen. Barbara Eckle

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