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Rolf Kemnitzers "Die Herzschrittmacherin": Oma klaut im Altersrausch

Die alte Dame kommt nicht zu Besuch, sie wird besucht.Von ihrem Enkel.

Die alte Dame kommt nicht zu Besuch, sie wird besucht.Von ihrem Enkel.Und aus einem Waschlappen macht sie einen Kerl - so etwa könnte man zusammenfassen, was der 1964 in Bayern geborene Autor Rolf Kemnitzer in seinem Stück "Die Herzschrittmacherin" erzählt.Und hätte nur ein paar unverbindliche Floskeln in der Hand.Magda nämlich ist zwar fast schon neunzig Jahre alt, aber alles andere als eine "Dame".Und der Enkel Jochen, ein bißchen hilflos durch den Alltag stolpernd, von einer herrschsüchtigen Mutter dominiert, sieht den Oma-Besuch zunächst nur als ein erzwungenes, bezahltes Abenteuer, als ödes Einsprengsel in einem langweiligen, faden, nicht gemeisterten Dasein.Das Treffen der beiden wird dann aber sehr schnell zum Zusammenprall von Lebensansprüchen mit gleichsam umgekehrtem Vorzeichen.Temperament, Energie, Widerborstigkeit, Grimm und Spaß sind auf Seiten der Alten.Dem Jungen steht nur ein hilfloses Staunen zur Verfügung - die Oma haut ihn um, sie zieht ihn unaufhaltsam hinein in den Sog ihrer unternehmerischen Lust.Es ist ein Austausch von Kraftströmen, der da stattfindet, am Ende hat der Enkel seinen Weg gefunden, ist selbständig geworden, und Magda, die nun ganz und gar Vereinsamte, sitzt in ihrer verbarrikadierten Wohnung, den zwangsweisen Abtransport, das Ende erwartend.Oder doch nicht? Regisseur Stefan Nolte im Dresdner "Theater oben" deutet den Schluß anders.Enkel Jochen erscheint der alten Frau wie ein Engel, ruft sie nach Berlin, in die neue Wohnung.In den Himmel? Vielleicht ist Magda schon tot.

Geschichten über lebenstüchtige alte Leute, die sich nicht unterkriegen lassen, sind auf dem Theater schon oft erzählt worden.Kemnitzers Stück nimmt durch die Urwüchsigkeit der Sprache gefangen, die Direktheit, mit der Magda Leute charakterisiert, Zustände beschreibt, Geschichte hervorholt.Diese Großmutter hat einen plebejischen Witz, der geradezu unanständig direkt und unverblümt ist, immer ohne jeden Umweg die Wahrheit trifft.Auf den Vorschlag, die "Seniorenbastelgruppe" zu besuchen, antwortet Magda knapp: "Die alten Weiber sollen sich ihre Särge basteln, da tun se was Nützliches." Solcher Zorn über Bevormundung, solche freche Lust an Provokation, an unmöglichem Verhalten gipfelt im Drang zur Gefahr, zur Kriminalität.Oma klaut wie im Rausch, dem Enkel vergehen dabei Hören und Sehen, aber schließlich ist er saniert: "Klar ist das ne Verbessrung", meint Magda schon vor dem finalen Bankraub.

Stefan Nolte hat für seine geradlinige, temporeiche, unverschnörkelte Inszenierung im kleinen Theater unter dem Dach des Dresdner Schauspielhauses in Ursula Geyer-Hopfe eine ideale Darstellerin für die Magda gefunden.Wie sich da eine alte Frau auf dem Sofa windet, dem körperlichen Schmerz hingegeben und ihm widerstehend, mit einer Selbstironie ohnegleichen, ist hinreißend.Ursula Geyer-Hopfe holt die Wirkungen tief aus dem Körper, zeigt, wie Magda ihre Verschrobenheit genießt.Das Ineinander von Schein und Sein, das Hochkochen von Temperament und der große Umfall in die Ohnmacht sind immer echt und immer auch gespielt, für den Enkel.Der wird scharf beobachtet, als Spiegel aller tollkühnen Unternehmungen, mit unnachsichtigem Spott, mit Liebe.Magda lebt bei der Schauspielerin aus dem Trotz heraus, noch einmal zu zeigen, wie Leben war und noch immer sein kann.Ursula Geyer-Hopfe geht, kriecht und schlurft, richtet sich hoch und fällt wieder in sich zusammen, sie ist immer wach und "auf Sendung".Und gibt doch auch dem Traum nach, verwirrt und verzückt, nachts, da sie im Enkel den verstorbenen Mann ("jetzt hockste inner Vas.Son großer Mann in soner kleinen Vas") zu sehen glaubt.

Philipp Otto, als Jochen, ist ein ebenbürtiger Partner.Eine auf schnelle Erledigung ausgerichtete Sachlichkeit wandelt er in Neugier, in Staunen.Das ist gewandt gespielt, zupackend und mit einer nachdenklichen Leichtigkeit.In der Beziehung der so Ungleichen läßt der Regisseur Rührseliges nicht aufkommen, da bleibt immer ein Abstand, die Freude am wechselseitigen Einsatz, am Herausfinden der Besonderheiten des anderen.

Das Sofa genügt dabei als Dreh- und Angelpunkt des mit Zarah-Leander-Liedern unterlegten Geschehens auf schmalem Raum.In der Wand hinter dem Sofa gibt es verschließbare Fächer, mit dem Fernseher, der Urne, und einem Vorhang zu Küche und Bad.Ursula Geyer-Hopfe und Philipp Otto nutzen diese wenigen Hilfsmittel eines sich fast verleugnenden Bühnenbildes (Stefanie Seibold) nur wie nebenbei - sie machen alles unter sich aus, in einem Spiel Zug um Zug, einem verblüffend zwischen Heiterkeit und Trauer schwebenden Wettbewerb um gelebtes und noch im Angriff zu nehmendes Leben.

Dresden, "Theater oben", wieder am 11., 12., 18., 19.und 30.Dezember, jeweils 20 Uhr.

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