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Rolling Stones Berlinale

© ddp

Rolling Stones: Von der Rolle

Für das Erlebnis, in einem Saal mit den Stones zu sitzen, gäbe mancher alles. 1600 hatten einfach Glück. Die Anfragen beliefen sich allerdings auf das Zehnfache der Platzkapazität.

„Mich hat allein das Zuschauen völlig erschöpft“, sagte Mick Jagger am Ende der Vorführung von „Shine A Light“ im Berlinale-Palast, in dem er sich über längere Strecken die Seele aus dem Leib tanzt. „Aber es ist großartig den Film auf einer so großen Leinwand zu sehen.“ Charlie Watts hingegen kostet es schon Überwindung, sich selbst auf der Leinwand zu sehen: „Ich hasse es.“

Bei Charity-Galas werden manchmal Dinge versteigert, die man nicht kaufen kann. Einen Kinoabend gemeinsam mit den echten Rolling Stones verbringen – das wäre ein begehrter Hit. Für 1600 Gäste der Weltpremiere von „Shine A Light“ wurde dieses Erlebnis Wirklichkeit. Die Balgerei um die Karten vorab war entsprechend. In dem Film erzählt Bill Clinton, wie er immer wieder um Karten für das Konzert im Beacon Theater, dem Drehort, angebaggert worden ist.

„Wir hätten jeden Platz zehnmal besetzen können“, seufzte Berlinale-Protokollchefin Christina Gräfin Szápáry nach der Vorstellung ebenfalls erschöpft. Noshows gab es diesmal nicht. Dabei hatte kaum einer ernsthaft damit rechnen können, dass Band und Regisseur sich den Film tatsächlich in Berlin anschauen.

Normale Filmstars lassen sich bei der Eröffnungsgala mit den Ansprachen blicken, gehen dann in eines der einschlägigen Restaurants und kommen noch mal zum Schlussapplaus kurz vorbei. Die Rolling Stones bekamen so auch die spontanen Reaktionen des Berliner Publikums mit, immer wieder amüsiertes Lachen, manchmal gab es auch spontanen Beifall.

Die auf Deutsch gehaltenen Reden vorab hatten sie geschwänzt, obwohl es „in dem kleinen Raum, in dem wir waren, so heiß war, dass ich mir fast meine Sachen ausgezogen hätte“, sagte Jagger. Der geheime Ort, an dem die Stars im Berlinale-Palast Premieren feiern, ist ein extra abgeschottetes Nebengelass des VIP-Bereichs im Adagio, etwas dämmerig und sicher nicht luftig, aber dafür bestens ausgestattet mit einer mit Champagner und Härterem gut gefüllten Bar.

Die Begegnung mit Legenden dieses Kalibers hat auch Berlinale-Chef Dieter Kosslick sichtlich berührt, so dass er streckenweise fast verhalten wirkte. Erst nachts um halb eins war er hüpfend und herzend wieder der Alte, glücklich, dass er seinen vierjährigen Sohn Fridolin im Fernsehen grüßen konnte. Dann erzählte er nochmal von den vier neuen Freunden und dem Gitarrenspiel mit Ron Wood. Klaus Wowereit, eigentlich eher ein Beatles-Typ, gefiel der Film. Dieser Abend sei auch ein tolles Zeichen für die Stadt, sagte er. Berlin ist cool, begeisterungsfähig, aber auch groß und gelassen genug, dass selbst Legenden Freiräume finden, um sich unbehelligt zu bewegen.

Bis gestern wollten sie bleiben. Ihr betont höfliches Auftreten war fast irritierend . Mick Jagger, der in jeder Sekunde den Typus Leithammel verkörpert, ironisierte mit seinen ständigen „Thank you“ fast das wilde Image der frühen Jahre. Die dokumentarischen Einspielungen von den jungen Stones, wie sie sich als Aufrührer der Jugend vor strengen, verstaubten Klerikern rechtfertigen sollten, waren vielen zu kurz. „Davon hätte ich gern mehr gesehen“, sagte Kulturstaatssekretär André Schmitz, der den Film ganz gut fand, „obwohl das nicht so meine Musik ist“. „Es ist ja eigentlich kein Dokumentarfilm, sondern ein Musikfilm“, urteilte Schauspieler Mario Adorf. Regisseurin Doris Dörrie, die selbst einen Film im Wettbewerb hat, meinte, dass es auch ein Fluch sein könne, eine Ikone zu sein und mehr als vierzig Jahre immer die gleichen Rollen zu verkörpern. Warum er sich das noch antue, wo er doch Geld genug habe, diese Frage ließ Mick Jagger unbeantwortet, vermutlich weil der Film selbst sie gibt. Diese vier können gar nichts anderes machen als ihre Musik, sind wirklich besessen davon. Dass sie immer noch die Hallen füllen, wirkt eigentlich nicht wie ein Fluch, das könnte man auch als Gnade sehen. „Sympathy for the Devil“ rührt in den Streetfighting Kids von damals Saiten an. Der auf Glamour oft allergisch reagierende Alt-68er Joschka Fischer blickte eine ganze Weile lang nachdenklich auf den roten Teppich. Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Bundestagspräsident Norbert Lammert, Museumschef Hans Ottomeyer und andere ergraute Premierengäste guckten ähnlich. Die Begegnung mit den Stones war für viele wohl auch eine Begegnung mit dem eigenen Leben.

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