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Roman Simić: Seelenfutte: Kroatische Kurzgeschichten

Eltern, Kinder, Krieg: "Von all den unglaublichen Dingen" ist ein feine Kurzgeschichten-Sammlung des kroatischen Autors Roman Simić.

Ein Mann steuert ein Auto durch den Regen. Auf der Rückbank liegt eine Frau. Die beiden führen ein fahriges Gespräch. Irgendwann sagt er: „Jetzt ist es vorbei.“ Erst etwas später versteht man, was er meint: Das Paar kommt von einer Abtreibung. Der kroatische Autor Roman Simić braucht nur etwas mehr als fünf Seiten, um die abgrundtiefe Verlorenheit der beiden zu veranschaulichen. „Wir mussten es tun“ heißt die Erzählung aus seiner vor sechs Jahren auf Deutsch erschienenen Sammlung „In was wir uns verlieben“.

Eine unsichtbare Linie scheint von dieser Geschichte direkt in den Nachfolgeband „Von all den unglaublichen Dingen“ zu führen, in dem nun gleich drei schwangere Frauen auftreten. Fast als wolle der Autor seinen damaligen Figuren welche zur Seite stellen, die sich anders entschieden haben. Glücklicher sind sie deshalb aber nicht unbedingt. Da ist etwa die Malerin Helena in „Füttere mich“, die ein Kind von ihrem Kollegen Maks erwartet. Die beiden wohnen in Berlin, in einer Künstlervilla am See, die an das Literarische Colloquium erinnert. Maks entfernt sich langsam von Helena, fasst sie kaum noch an. Schließlich schwenkt Simić, wie er es auch in den übrigen Geschichten gern macht, elegant in die Vergangenheit – zu Helenas Eltern und der Adriainsel, auf der sie aufwuchs.

Die Mehrzahl der elf Kurzgeschichten handelt von Eltern-Kind-Beziehungen, die sowohl aus Vater- als auch aus Mutterperspektive beschrieben werden und in verschiedenen Generationen spielen. Dabei kommen auch die anstrengenden Seiten des Elternseins zur Sprache: „Wir liebten uns, fuhren aber weder in Urlaub noch trieben wir Sport noch hatten wir Hobbys – wir hatten Kinder, zwei Kinder, und wir hatten die Schnauze gestrichen voll,“ schreibt der 1972 geborene Autor in „Kinder Kinder“.

Ganz anders erlebt der Held der etwas längeren und besonders gelungenen Geschichte „Die Vögel des Diomedes“ seine Vaterschaft. Sein neugeborener Sohn Jakov hilft ihm, nach dem „verlorenen Jahrzehnt“, den kriegerischen Neunzigern, wieder so etwas wie Lebenssinn zu finden – und sich endgültig von den alten Armee-Kameraden und ihren ewigen Dramen loszureißen. Der kleine Jakov steht damit auch für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft im neuen EU-Land Kroatien. Nadine Lange

Roman Simić: Von all den unglaublichen Dingen. Aus dem Kroatischen von Brigitte Döbert. Voland & Quist, Dresden und Leipzig. 171 Seiten, 18,90 €.

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