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Kultur: Romantische Begebenheit

FESTTAGE II

Ausgerechnet in den heiligen Hallen der Philharmonie (wo einst Claudio Abbado bestürzende Mahler-Gottesdienste feierte) die Orchesterlieder des Wiener Hofoperndiktators aufs Programm zu setzen, zeugt schon von einigem Mut. Allerdings hätte man erwarten dürfen, dass Daniel Barenboim angesichts dieser hohen Messlatte gerade auf die schrecklich-schönen Kindertotenlieder besondere Sorgfalt verwenden würde. Aus dem Chicago Symphony Orchestra aber strömte nichts vom süßlichen Gift der Resignation. Statt dessen herrschten Ungenauigkeiten und Pauschalitäten, wo exakt gemischte Klangfarben und feine Artikulation vonnöten gewesen wären.

Davon wiederum ließ sich auch Starbariton Thomas Quasthoff anstecken – mit überdeutlicher Konsonantenspuckerei und teils groben Registerübergängen. Keine Spur vom grenzenlosen Leid Friedrich Rückerts, der kurz vor der Niederschrift seine drei- und fünfjährigen Kinder verlor, und der weltfremden Verzweiflung Mahlers, dessen älteste Tochter Anna mit sechs Jahren an Diphtherie starb. Schade. Auch dem Aufeinandertreffen des Romantikers Barenboim mit dem modernen Fragmentkünstler Anton Bruckner sah man eher bang entgegen. Allerdings hatte man sich weise für die vierte Sinfonie, die „Romantische“, entschieden. Und romantisch wurde es. Barenboim ließ aus der Partitur eine gigantische Frühlingswiese sprießen, Schubertsche Melodiebögen erblühen und Hörner nach Tristan-Manier zur Jagd blasen. Das berühmte amerikanische Blech kam ihm dabei glänzend zupass. Wer fragt angesichts des großzügig gegossenen Klangereignisses schon, ob all diese hübschen Blumen auch Wurzeln im Werk Bruckners tragen.

Helge Rehders

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