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Romy Schneider

© ddp

Romy Schneider: Die letzte Kaiserin

Sie war ein Kinostar. Doch ihr Leben war dramatischer, berührender, leidenschaftlicher als jede Filmtragödie. Vor 25 Jahren starb Romy Schneider.

Am Abend des 28. Mai 1982 sitzt Romy Schneider mit ihrem zehn Jahre jüngeren Geliebten, dem französischen Filmproduzenten Laurent Pétin, dessen Bruder Jerome und seiner Frau Claude beim Abendessen an einem großen Tisch. Man erwartet keinen Besuch. Die Fenster sind offen. Die Luft dämmert warm. Die Nacht lässt sich noch Zeit. Sie tafeln und sie trinken und sie reden und sie lachen und es wird spät. Gegen zwei Uhr morgens verabschieden sich Romy und Laurent und gehen zu Fuß die paar hundert Meter zurück in die Rue Barbet-de-Jouy 11 in ihr Appartement. Da wohnen sie, bis sie das neue Haus auf dem Land beziehen können. Das kommende Wochenende wollen sie in Paris verbringen, für Samstag ist ein Treffen mit Romy Schneiders langjährigem Freund Jean-Claude Brialy vereinbart, ihrem Partner in vielen Filmen. Laurent ist müde und geht sofort zu Bett, Romy will noch einen Brief schreiben und dann nachkommen, ohne Mittel kann sie eh nicht schlafen und so schnell wirken die nicht.

Am anderen Morgen, dem 29. Mai, wacht Laurent Pétin ziemlich früh auf und als er sieht, dass der Platz neben ihm unberührt ist, steht er auf, um seine Liebe zu suchen. Er findet sie im Salon. Sie scheint am Schreibtisch eingeschlafen zu sein. Ihr linker Arm hängt über der Lehne, die Hand berührt fast den Boden. Auf dem hellen Teppich stehen ein voller Aschenbecher, eine fast leere Flasche Rotwein. Das Glas auf dem Schreibtisch ist umgekippt und der Wein hat auf einem nicht zu Ende geschriebenen Brief, der bei dem Wort faire nach dem i in einem langen Strich endet, einen dunkelroten Fleck hinterlassen. Der Füller, mit dem sie schrieb, liegt in ihrem Schoß.

Niemand wird sie mehr wecken können. Romy Schneider, 43, hat ihr Leben besiegt.

Pétin ruft einen Notarzt und er ruft die Polizei und er denkt sogar daran, das Kindermädchen Bernadette zu wecken und sie mit Romys kleiner Tochter Sarah aufs Land zu schicken, zu den Eltern ihres Vaters Daniel Biasini. Sie soll nicht ihre tote Mutter sehen. Weil draußen schon die Sonne scheint und Sarah sich auf das Spielen im Garten freut, hat sie nur genickt, als Pétin der knapp Fünfjährigen erklärt, dass Mama noch schlafe und später mit ihr telefonieren werde.

Der Arzt, der Dienst hatte in jener Nacht, hieß Emil Deponge. Auf dem Totenschein verzeichnete er „Natürlicher Tod auf Grund eines Herzversagens“, und den Zeitpunkt, an dem der Tod sie umarmte, schätzte er auf etwa fünf Uhr morgens. Die Meldung vom Ableben Romy Schneiders wird bereits in den Frühnachrichten gesendet. Wie in allen Großstädten der Welt üblich, war der Polizeifunk von Reportern abgehört worden. Als Alain Delon mit seinen Leibwächtern eintraf, standen Dutzende von Journalisten und Fotografen vor dem Haus. Er reagierte nicht auf ihre Rufe. Auch Romy Schneiders ehemaliger Agent Jean-Louis Livi, der später eine Erklärung verlas, beantwortete keine Fragen. Also fragten sich die Sonntagszeitungen, ob Romy Schneider Selbstmord begangen hatte.

Seit Romy Schneider starb, gehört sie zu den Unsterblichen. Ihr Tod bleibt trotz der klaren Diagnose auf dem Totenschein geheimnisvoll. Aus solchem Stoff werden Legenden gestrickt. Sie wurde zu einem Mythos erhoben. Denn sie starb, wie man eigentlich nur im Kino stirbt – mitten im Leben. Die wahren Stationen ihres Lebens allerdings waren dramatischer, berührender, leidenschaftlicher, als jede Filmtragödie, die sich Drehbuchautoren hätten ausdenken können: die nie erreichte Endstation Sehnsucht namens Alain Delon, der Selbstmord des von ihr verlassenen Ehemanns Harry Meyen, der Unfalltod des gemeinsamen Sohnes David, ihre Depressionen, ihre Affären, ihre Erfolge, ihre Abstürze.

Zu lange hatte sie alles mitgespielt und ihre Zweifel und Ängste mit Alkohol und Tabletten runtergeschluckt. Mal versteckte sie sich spröde vor dem Publikum hinter dem Vorhang, mal stand sie aufreizend an der Rampe und stellte sich dar. Die Augen der Kameras tasteten sie in ihren 58 Filmen gnadenlos ab und schufen ihr ein Image, die tiefen Lebenslinien verdeckte das Make-up. Selbst in schlechten Filmen wie „Wenn der weiße Flieder wieder blüht“ sah sie nie schlecht aus.

Sie durchschaute zwar die branchenüblichen Hohlschwätzer, sie widersetzte sich aber nicht, flüchtete allenfalls für ein paar Tage in Krankheiten oder hysterische Ausbrüche, die abzurufen ihr ebenso leicht fielen wie das ja oft verlangte Weinen, ließ sich aber stets überzeugen, weiterzuspielen. Sie fühlte sich allen unterlegen, die über Philosophie und Kunst und Politik und Geschichte und Musik mitreden konnten, denn weil sie seit ihrem 15. Lebensjahr Film um Film gedreht hatte, war ihr selten Zeit geblieben, mehr als nur Drehbücher zu lesen. „Vor der Kamera kann ich alles, im wahren Leben nichts“.

Das Geheimnis ihres Erfolges war ihr Gesicht. Es gab der kleinen, zierlichen und eher unscheinbaren Frau, die immer wieder Gewichtsprobleme hatte, jene Ausstrahlung, die das Kino brauchte, um Illusionen zu zeugen. Nur wer eine solche Ausstrahlung hat, wird in der Traumfabrik zum Star. „Meine Haxen sind eigentlich krumm“, sagte sie in der ihr auch eigenen lakonischen Art, „aber mit meiner Fresse reiß ich alles wieder raus“. In dieses Gesicht verliebten sich auch nach Drehschluss viele und viele von denen, die sie dann gewähren ließ, sind so berühmt gewesen wie sie. Romy Schneider gab sich als unwiderstehliche Verführerin, wenn sie einen Mann wollte – und amüsierte sich anschließend, dass die Kerle so einen „entseelten“ Blick bekamen. In Zeiten von alles andere vergessender Sehnsucht war sie eine scheue, sanfte, hingebungsvolle Liebende.

Schamlos und verklemmt, weinerlich schwach und unbesiegbar stark, chaotisch und diszipliniert – alle Beschreibungen passten auf Romy Schneider, alle waren irgendwann richtig gewesen, alle irgendwann falsch. Es gebe Gesichter, schrieb post mortem Hanna Schygulla, auf denen man lange verweilen kann. „Gesichter, in die man träumend versinkt, denn sie sind uns sehr nah und haben doch auch etwas von so fern Herkommendes, dass sie uns weit weg entführen. Sie hat so ein Gesicht. Manche haben von der Musik in diesem Gesicht gesprochen, für den einen war sie Mozart und für den anderen Verdi oder Mahler“.

Weil sie aber eine öffentliche Person war, und sich nicht mehr wehren kann, denn Tote schicken nun mal keine Gegendarstellungen mehr, wird in Deutschland noch immer von unserer Romy gesprochen, als sei sie ein Stück für jedermann. In Frankreich, ihrer Heimat, wird sie auch 25 Jahre nach ihrem Tod selbstverständlich als Madame Schneider respektiert. Die Filme, die sie in Deutschland drehte – unsere Sissi, unsere ungekrönte Kaiserin, unser Engel auf Erden, unsere schöne Lügnerin usw. – sind Brave-Romy-Gutes-Kind-Streifen. Viele der aufregenden Geschichten, die in Frankreich produziert wurden, sind erwachsene Filme und Luccino Viscontis „Ludwig II“ der eigentliche Sissi-Film.

Mythenfiguren wie sie, über die viele weinten, obwohl sie den Star nur aus Filmen kannten, als sei Romy Schneider ein Familienmitglied gewesen, sind allenfalls im Tod für einen Moment lang irdisch, danach heben sie ab für immer. Mythen bleiben danach überlebensgroß, eben weil sie nonverbale Erinnerungen und Bilder im kollektiven Bewusstsein auslösen.

Jacques Ruffio, Regisseur ihres letzten Films, der „Spaziergängerin von Sans-Souci“, hat sie in seiner Nachrede auf dem kleinen Dorffriedhof von Boissy Sans Avoir, außerhalb von Paris, wo auf dem Grabstein ihr Geburtsname Rosemarie Albach steht, so beschrieben: „Sie war die Flamme und sie war das Eis. Sie war die Weisheit und sie war die Torheit. Sie war der Frieden und sie war der Krieg. Sie war die Freude und sie war die Angst“. Das klang für Franzosen wie Poesie.

Über Rosemarie Magdalena Albach, geboren am 28. September 1938 in Wien, gestorben am 29. Mai 1982 in Paris, und ihr Verhältnis zum Mutterland Deutschland und zum Vaterland Österreich ist so viel spekuliert worden wie über ihren Tod in jener Mainacht im Heimatland Frankreich. Die Generation ihrer Mutter Magda Schneider hielt sie für eine Verräterin, weil die 19-jährige Romy der Liebe wegen aus deutscher Sissi-Spießigkeit zu den Franzosen geflüchtet war, die Heimatfront UFA in Stich gelassen hatte. In Frankreich wurde sie für die Filme verehrt, die in Deutschland kaum Zuschauer fanden, in Frankreich war sie ein Kassenmagnet, in Deutschland Gift für die Kasse.

Das Thema der unbewältigten deutschen Vergangenheit ist in vielen französischen Filmen behandelt worden, und in vielen dieser Filme spielte die Deutsche Romy Schneider mit, die Frau, die ihre ganz persönliche Vergangenheit mit Deutschland ebenfalls noch nicht bewältigt hatte. Für die Franzosen war ihr Filmstar Nummer eins längst eine der ihren, auch weil sie akzentfrei ihre Sprache beherrschte, war Romy Schneider ein Kind der Grande Nation, die unter den Deutschen so gelitten hat. Sie verkörperte solche Rollen mit spürbarem Engagement, als gelte es jedes Mal, auch ein Stück der eigenen Biografie darzustellen - und zu verarbeiten.

So auch in ihrem letzten Film „Die Spaziergängerin von Sans-Souci“, der Anfang 1982 Premiere hatte. Sie spielt darin eine Frau, die sich vor den Nazis aus Berlin nach Frankreich rettet, ihren Mann zurücklassen muss, nur ihren Sohn Max mitnehmen kann. Bis auch ins vermeintlich sichere Exil die Mörder kommen. Die Rolle des Sohnes, so hatte sie es sich gewünscht, sollte ihr Sohn David übernehmen, aber der weigerte sich. Er lebte bei den Eltern von Daniel Biasini, von dem seine Mutter gerade geschieden wird, er liebte sie, aber er liebte auch den ihr fremd gewordenen Mann als Vaterersatz, nannte sich David Biasini.

Die Dreharbeiten waren unterbrochen worden, weil ihr im Krankenhaus eine Niere entfernt werden musste. Monate der Regeneration, in denen Romy Schneider nichts verdiente, aber viel brauchte. Die französischen Behörden wollen außerdem umgerechnet 1,4 Millionen Euro von ihr als Steuernachzahlung. Auch das bedrückte sie. Dann wieder jauchzte sie himmelhoch und sah die Zukunft rosig. Verhandelte über neue Projekte, wollte in Zukunft wie andere Stars ihrer Fallhöhe auch an den Einnahmen beteiligt werden. Sie muss ja drehen, weil sie nicht anderes kann – und weil sie pleite ist. Außer ein wenig Schmuck und ein paar teuren Möbeln ist ihr von den Gagen aus ihren vielen Filmen nichts geblieben: Kein Bargeld, keine Aktien, keine Immobilien.

Am 5. Juli 1981, kurz bevor die Dreharbeiten wieder beginnen, endete ihr Leben zum ersten Mal. David, 14 Jahre alt, hatte seinen Schlüssel vergessen und war, als er vom Sport zurückkehrte zur Villa der Biasinis, kurz entschlossen auf die Mauer geklettert, um über das Tor in den Garten zu springen. Er rutschte ab. Eine der schmiedeeisernen Spitzen des Zauns bohrte sich in ihn wie ein Pfahl Nachbarn hörten ihn vor Schmerzen laut schreien, riefen Krankenwagen und Polizei. Mit schweren inneren Blutungen wurde er ins Krankenhaus gebracht, seine Mutter benachrichtigt. Romy Schneider, die mit Pétin und Biasini und dessen Eltern vor dem Operationssaal wartete, wird nie mehr das klackende Geräusch der Schuhe vergessen, als der Arzt über den Flur auf sie zukommt und ihr sagen muss, dass sie David nicht hatten retten können. In dieser Nacht begann ihr Sterben.

Den Freunden, die ihr schrieben, versicherte sie tapfer, sie sollten sich keine Sorgen machen, sie werde nie Selbstmord begehen, schon um ihrer Tochter Sarah willen, die jetzt besonders ihre Mutter brauche. Ihre eigene Mutter ist keine Hilfe. Die erzählte in einer deutschen Illustrierten lieber, wie verzweifelt ihre Tochter war. Im Oktober stand sie wieder vor der Kamera, typisch für ihre preußische Disziplin, behütet Tag und Nacht von Laurent Pétin und dem Regisseur Ruffio.

Es war aber nicht nur der Schmerz um den verlorenen Sohn David, der Romy Schneider jetzt so „unlebbar“ machte für andere und für die, die sie liebten. Sie begann darüber nachzudenken, was alles sie in ihrem Leben nie geschafft hat, sie betrachtete aus der kritischen Distanz einer Erstarrten das künstliche Produkt Romy Schneider. Sie zweifelte am Sinn ihrer Arbeit überhaupt und kreuzte im letzten Interview unter ihren 58 Filmen die an, die ihrer Meinung nach gut waren. Sie kam auf nur zehn und es war unter denen keiner, die sie einst in Deutschland berühmt machten. Kein „Sissi“ also, aber „Das alte Gewehr“, „Die Dinge des Lebens“ und „Trio Infernale“. Vor der Kamera gab sie sich tagsüber professionell wie immer. Zur Premiere des Films kam sie schon nicht mehr.

Ein paar Wochen vor ihrem Tod flog sie nach Zürich und verfasste in einem Hotel mit Hilfe ihres deutschen Anwalts ihr Testament. „10. Mai 1982, Zürich. Ich bitte alles, was ich – Romy Schneider – besitze, an Laurent Pétin und meine Tochter Sarah zu überweisen.., ich meine, es ist, nochmals gesagt, mein Testament. Dies ist mein Wille und bleibt meine Entscheidung. Romy Schneider.“ Sie hatte verdrängt, dass sie eigentlich nichts mehr besitzt.

In den Erinnerungen der Schauspielerin Eleonora Duse, die sie nicht mehr zu Ende lesen wird, unterstreicht sie ein Zitat des Dichters Gabriele d’ Annunzio. „Ich weiß, was der Ruhm bedeutet, und was das Nahen der Nacht.“

Als hätte sie geahnt, wie nahe ihr die Nacht schon war.

Unser Autor führte das letzte Interview mit der Schauspielerin. Seine Biografie „Der Fall Romy Schneider“ wurde ein Bestseller.

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