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Romy Schneider: Pure Verführung

Der nie fertiggestellte Film „L’Enfer“ ist Legende – und Romy Schneider darin so schön wie nie.

Romy im Morgenmantel, das Haar wild verstrubbelt. Romy im schwarz-weißen Badeanzug, figurbetont. Romy mit über dem Bauch verknüpftem Hemd und Tuch im Haar à la Garçonne. Romy mit Strohhut. Romy mit Kinderwagen. Romy in Kopftuch und längsgestreiftem Sommerkleid, eine Straße entlanggehend. Umwerfend schöne Sommerbilder, gedreht im Jahr 1964 in der Auvergne.

Aber dann: eine Farbexplosion. Romy mit Öl und Glitzerstaub auf der Haut, leuchtend wie eine fremdartige Göttin, Romy im Farbnebel, ihr Auge unendlich oft vervielfältigt, ihre Zunge, die sich die Lippen leckt, der Mund, der Zigarettenrauch ausstößt. Romy, durch Wasserfontänen gefilmt, Romy hinter vielfarbig leuchtendem Plastikvorhang, Romy durch Spiegel hindurch gebrochen, Romy, die eine Eisenspirale über ihren Körper wandern lässt, Romy mit blauen Lippen beim Wasserski, Romy schließlich nackt, auf Eisenbahnschienen gefesselt.

Es sind Bilder, wie man sie nie gesehen hat – und fast auch nie zu sehen bekommen hätte. Über 40 Jahre lang schlummerten die erhaltenen 185 Filmrollen zu Henri-Georges Clouzots Filmprojekt „L’Enfer“ im französischen Filmarchiv des CNC – juristische Streitigkeiten zwischen der Versicherung und der Witwe verhinderten, dass sie irgendjemand zu Gesicht bekam. Der Rechercheur und Dokumentarfilmregisseur Serge Bromberg erreichte 2005, was vor ihm schon viele versucht hatten. Er rang Clouzots Witwe Inès die Erlaubnis ab, das Filmmaterial zu sichten und zu veröffentlichen – ein gemeinsames Steckenbleiben in ihrem Lift spielte dabei eine entscheidende Rolle. Was er fand: größtenteils Filmschnipsel, und ein Fragment von etwa zehn Minuten. Sein daraus gefertigter Dokumentarfilm „L’Enfer d’Henri-Georges Clouzot“ lief 2009 beim Filmfestival in Cannes, tourt seitdem umjubelt durch die Festivals in aller Welt und wird im Juni auch in Deutschland als DVD erhältlich sein. Nun bringt der Schirmer-Mosel-Verlag einen Bildband mit dem unveröffentlichten Material heraus.

„L’Enfer“ ist ein Mythos, wie viele Filme, von denen man nur noch Fragmente kennt, wie Kubricks „Napoleon“, wie Fritz Langs „Metropolis“ auch, der auf der Berlinale nach über 80 Jahren erst wieder fast vollständig rekonstruiert gezeigt wurde. Ein Film, der spektakulärer, teurer, neuartiger werden sollte als alles zuvor Dagewesene – und der dann mindestens so spektakulär scheiterte, am manischen Perfektionismus seines Regisseurs. Clouzot, der mit drei Kamerateams gleichzeitig dreht und von den Produzenten der Columbia ein unbegrenztes Budget zugestanden bekommen hatte, hält die ganze Crew in Atem, indem er sie zu nächtlichen Besprechungen einbestellt und Szenen ohne Grund wieder- und wiederholt. Mit diesem Projekt wollte er nach Jahren der Depression seine Rückkehr auf die Kinoleinwand inszenieren, und überforderte damit sein gesamtes Team und sich selbst gnadenlos. Erst reiste sein Hauptdarsteller Serge Reggiani ab, der ebenfalls an Depressionen erkrankt war, und kam nie wieder. Dann erlitt Clouzot einen Herzinfarkt. Die Dreharbeiten mussten abgebrochen werden, nach knapp drei Wochen. Es waren 16 Wochen angesetzt gewesen.

Es ist die Geschichte eines Wahns, verfilmt im Wahn. „L’Enfer“, aus Clouzots eigener Erfahrung der Schlaflosigkeit geboren, sollte die Geschichte einer manischen Eifersucht erzählen, mit deutlichen Anleihen bei Hitchcocks „Psycho“ und „Vertigo“. Der Hotelbesitzer Marcel (Serge Reggiani) verdächtigt seine junge Frau Odette (Romy Schneider) des Betrugs. Hat sie eine Affäre mit dem örtlichen Garagenbesitzer oder mit ihrer besten Freundin Marylou? Er beginnt sie zu verfolgen, zu beobachten. Es kommt zu quälenden nächtlichen Eifersuchtsszenen, Marcel steigert sich immer mehr in Albtraum-Visionen hinein.

Der Clou des Films: Er ist in Schwarz-Weiß gedreht, in gestochen tiefenscharfem eleganten Schwarz-Weiß. Doch Marcels Eifersucht-Visionen sind in Farbe getaucht, in einen psychedelischen Farbrausch, wie man ihn so noch nie gesehen hat. Da färbt sich das Wasser eines Sees, über den Romy in einem Boot rudert, plötzlich blutrot, die Haut erstrahlt in Goldgelb, Grün, Lila und Pink. Das Problem dabei: Im Zeitalter vor der digitalen Farbbearbeitung erreichte man die Effekte nur per Farbumkehr. Es mussten also, um das Blau des Sees rot erscheinen zu lassen, die Kleidung, die Haut der Schauspieler auf ihre Komplementärfarbe umgeschminkt werden. Daher die blauen Lippen, daher eine manchmal graue, manchmal ungesund grüne Haut.

Inspiriert sind die Farbeffekte von Victor Vasarely, von der damals gerade angesagten Kinetik, die Clouzot über die Kunstsammler Marguerite und Aimé Maeght in Saint-Paul de Vence kennengelernt hatte, wo er wohnte – die Kinetiker Jeol Stein und Jean-Pierre Yvaral assistierten ihm dann bei den Lichteffekten. Hinzu kommt elektronische Musik, verzerrt, verfremdet, geschaffen von dem Elektromusik-Papst Gilbert Amy.

Doch im Zentrum steht eindeutig Romy. Auch für sie war es die Chance auf einen Neubeginn, nach der Trennung von Alain Delon, nach einem Intermezzo in den USA. Die Möglichkeit, sich endlich als ernst zu nehmende Schauspielerin zu beweisen. Nach dem Wenigen zu schließen, was an Filmmaterial überlebt hat, war diese Hoffnung nicht unbegründet. Romy, die Costa-Gavras damals „die beste französische Schauspielerin unserer Zeit“ nannte, posiert feminin und selbstbewusst, überspielt die eigene Unsicherheit, zeigt sich hinreißend ausgelassen, ungewöhnlich lasziv, atemberaubend schön. Verführung pur, in zwei, drei kurzen Szenen. Der Rest ist Fantasie.

Romy. Die unveröffentlichten Bilder aus Inferno/L’Enfer von Henri-George Clouzot. Schirmer-Mosel Verlag, München 2010. 160 S., 29,80 Euro. Die deutsche Fassung des Dokumentarfilms von Serge Bromberg erscheint am 1. Juni als DVD in der Edition Arthaus bei Kinowelt.

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