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Ronen Steinkes Fritz-Bauer-Buch: Weiße Flecken

Jude, Emigrant und Sozialdemokrat: Ronen Steinkes Biografie des hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer.

Als der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer 1968 starb, schrieb die „Frankfurter Rundschau“ in ihrem Nachruf: „Es fehlen die Worte. Man könnte Bücher über den Generalstaatsanwalt schreiben, die Biografen werden es auch noch tun.“ Tatsächlich hat es aber vier Jahrzehnte gedauert, bis 2009 die erste Biografie Bauers von Irmtrud Wojak erschien, eine sachkundige und respektvolle Würdigung des Mannes, der – oft gegen den Widerstand seiner Standesgenossen – die späte Verfolgung der Naziverbrechen durch die Justiz der Bundesrepublik doch noch auf den Weg gebracht hat. Ihre politische Biografie zeichnet die Erfolge und Misserfolge Bauers in seinem öffentlichen Lebens als Jurist – vom jüngsten Amtsrichter der Weimarer Republik über das Exil in Schweden und Dänemark zum dienstältesten Generalstaatsanwalt der Bundesrepublik – auf über 600 Seiten nach, ließ aber nur spärliches Licht auf sein persönliches Leben und nichtöffentliche Hintergründe seines Handelns fallen. Dass es da noch „weiße Flecken“ gab, war zu vermuten, zumal Bauer als Staatsanwalt zwar stets die Öffentlichkeit suchte, dabei aber konsequent seine Amtsverschwiegenheit und Privatsphäre wahrte.

Wie viel Grund dazu bestand, offenbart nun eine zweite Biografie aus der Feder eines gleichermaßen als Jurist und Journalist qualifizierten Autors: Ronen Steinke, promovierter Jurist und Kriminologe, Redaktionsmitglied der „Süddeutschen Zeitung“ und davor in Anwaltskanzleien, einem Jugendgefängnis und beim Jugoslawientribunal der Vereinten Nationen in Den Haag tätig. Seine vertiefte Biografie Fritz Bauers kann sich auf neues Material und die Zusammenarbeit mit dem Fritz-Bauer-Institut und dem Jüdischen Museum Frankfurt stützen, das für 2014 eine Ausstellung zu Leben und Werk Bauers vorbereitet.

Steinke ist kein Enthüllungsjournalist im unguten Sinne, aber er hat Dinge mitzuteilen, die Fritz Bauer Amt und Karriere hätten kosten können, bevor er deren Krönung – den Frankfurter Auschwitzprozess – bewirken konnte. Dazu gehört Bauers kurzzeitige Verhaftung in Dänemark 1936 wegen einer homosexuellen Beziehung, deren Bekanntwerden ihm in den Jahren des noch geltenden Paragrafen 175 jederzeit „zum Verhängnis“ (Steinke) werden konnte, und – politisch noch viel brisanter – die Inszenierung eines verabredeten Einbruchs in seine Amtsräume durch einen israelischen Agenten, um die Akte Adolf Eichmanns zu kopieren. Schon 1957 hatte Fritz Bauer mit Einverständnis des hessischen Ministerpräsidenten Georg August Zinn den Israelis Eichmanns Versteck in Argentinien verraten, nachdem Behörden und Diplomaten einen Zugriff und eine Auslieferung nach Deutschland immer wieder verhindert hatten.

Nichts davon gereicht ihm nachträglich zur Unehre, aber zur Skandalisierung mit dienstlichen Folgen hätte es seinerzeit immer gereicht. Schon so war Fritz Bauer als Jude, Emigrant und Sozialdemokrat eine Hassgestalt für öffentliche und anonyme Hetze gegen seine Person. Ronen Steinke verschweigt aber auch nicht die Ecken und Kanten Bauers als Dienstherr, der „seinen Staatsanwälten das Äußerste abverlangte, doch jede Fürsorge für ihr Weiterkommen vermissen ließ. Selbst sein engster Mitarbeiter im Auschwitzprozess, Staatsanwalt Joachim Kügler, wechselte deshalb die Seiten und wurde zu einem gesuchten Verteidiger in NS-Prozessen. In einem Leserbrief an die „Zeit“ klagte er 2009, Fritz Bauer habe die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen im Auschwitz-Prozess den drei Staatsanwälten am Landgericht überlassen, „mit der von Dezember 1963 bis August 1965 stattfindenden Hauptverhandlung hatte Bauer gar nichts zu tun“. Hier allerdings widerspricht Steinke: Ohne Bauers Regie, der die Zügel der Anklage stets in der Hand behalten habe, wäre der Prozess politisch nicht durchgesetzt worden – „was die drei jungen Staatsanwälte nie selbst hätten stemmen können“.

Kügler ging später so weit, den Sinn weiterer NS-Prozesse für das Gemeinwohl infrage zu stellen und deckte damit einen scheinbaren Widerspruch in Bauers Rechtsdenken auf, der Strafen eigentlich nur als Vorbeugung gegen weitere Taten für gerechtfertigt hielt – die aber gerade von NS-Tätern nicht (mehr) zu erwarten waren.

Umso mehr ist das Vorwort von Andreas Voßkuhle als Präsident des Bundesverfassungsgerichts für Steinkes Buch geeignet, die Dinge ins Lot und Bauers Persönlichkeit in ihr eigenes Licht zu rücken. Allzu lange habe die deutsche Justiz ihre Selbstentlastung nach 1945 auf die „kommode Legende“ ihrer richterlichen Tugend durch treuen Gesetzesgehorsam selbst vor Unrechtsgesetzen gegründet. „Indessen veranschaulicht Fritz Bauers Leben die Entfaltungsmöglichkeiten moralischer Freiheit gerade im Rahmenwerk des Rechts … Der Demokrat und Patriot Fritz Bauer hat an der deutschen Geschichte mitgeschrieben und sie zum Guten beeinflusst.“ Das bezeugen beide Biografien aus verschiedenen Blickwinkeln.Hannes Schwenger





– Ronen Steinke:

Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht. Mit einem Vorwort von Andreas Voßkuhle. Piper Verlag, München 2013. 350 Seiten, 22,99 Euro.

Hannes Schwenger

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