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Filmemacher Rosa von Praunheim.

© Markus Tiarks

Rosa von Praunheim zum 70.: „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“

Lebensartist, Aktivist, Professor und Filmregisseur: Rosa von Praunheim ist alles in einem. Am Sonntag wird er 70. Der RBB macht deshalb zu seinem Geburtstag einen 700-minütigen Fernsehabend.

Eigentlich sind alle seine Filme schlecht. Trotzdem ist er ein großartiger Filmemacher. Das sagt kein Feind, sondern ein Freund. Tom Tykwer nennt – kein Witz! – Rosa von Praunheim seinen „bedeutendsten Einfluss“. Sie kennen einander seit den späten achtziger Jahren. Damals lief im Kreuzberger Moviemento-Kino „Überleben in New York“, Praunheims Doku über drei deutsche Frauen in der Fremde.

Tykwer jobbte dort als Filmvorführer und war irre beeindruckt, als der Regisseur in eine Vorstellung kam. Irgendwann steckte Tykwer Praunheim ein Drehbuch zu, das er geschrieben hatte. Es ging um eine Friseuse. Blöde Idee, fand Praunheim: „Du kennst doch gar keine Friseuse.“ Aber er war davon fasziniert, dass Tykwer ständig mit seiner Freundin stritt. „Mach doch daraus etwas.“ So entstand Tykwers erster Kurzfilm „Because“, ein einziger böser verbaler Schlagabtausch. „Film ist nicht, Gedanken in Bilder zu packen – sondern Gefühle“, sagt Praunheim.

Rosa von Praunheim wird am Sonntag 70 Jahre alt, ein Ereignis, das mit Rosa-Festivitäten begangen wird, wie sie auch eines Bundespräsidenten würdig wären. Aus 70 Filmen, die der Regisseur in den letzten beiden Jahren gedreht hat, macht der RBB einen 700-minütigen Fernsehabend. Es gibt einen Band mit neuen Gedichten von Praunheim, der „Ein Penis stirbt immer zuletzt“ heißt, und eine Ausstellung, die sich seinen „Träumen von Sex und Liebe und Politik, von Unruhe und Poesie“ widmet. Und Arte zeigt den schönen Dokumentarfilm „Rosakinder“, in dem die Regisseure Julia von Heinz, Chris Kraus, Axel Ranisch, Robert Thalheim und Tom Tykwer von ihrer Verehrung für das Geburtstagskind erzählen.

Dass Rosa von Praunheim, der Vorkämpfer der deutschen Schwulenbewegung, zur Vaterfigur wurde, ist eine hübsche Pointe. Er selber fühlt sich gar nicht wie ein 70-Jähriger: „Ich bin erst sieben, noch völlig unreif.“ Den eigenen Vater hat Praunheim, der am 25. November 1942 in Riga geboren wurde und mit dem bürgerlichen Namen Holger Mischwitzky aufwuchs, nie kennengelernt.

Er kam in einem Gefängnis zur Welt und wurde in einer Adoptivfamilie groß. Seine leibliche Mutter starb 1946 in der Psychiatrie. Über seine Recherchen hat er 2007 den Film „Meine Mütter – Spurensuche in Riga“ gedreht. In „Rosakinder“ geht die Spurensuche weiter. Praunheims Mutter war in Riga eine SS-Gefangene, der Großvater des Regiekollegen Chris Kraus SS-Kommandeur. Könnte er Praunheims Vater sein? Der Film zeigt die beiden Filmemacher beim Speicheltest in einem Institut für Rechtsmedizin. Das Ergebnis der DNA-Analyse: Sie haben gemeinsame Vorfahren, aber die lebten vor 500 Jahren.

Schon dass sich Holger Mischwitzky Anfang der sechziger Jahre Rosa von Praunheim nannte, war ein politisches Statement. Der Vorname erinnert an den rosa Winkel, den die Schwulen im KZ trugen. Nach dem Krieg ging die Diskriminierung weiter, der berüchtigte Paragraf 175 stellte die gleichgeschlechtliche Liebe noch bis 1969 unter Strafe. Es herrschte ein Klima von Muffigkeit und Ausgrenzung, in dem 1971 bereits der Titel von Praunheims Dokumentarfilm befreiend wirkte: „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“.

Der Film gehört zu den Gründungsmanifesten der schwulen Emanzipationsbewegung, auch wenn manches heute unfreiwillig komisch wirkt. Da schwenkt die Kamera über tief gebräunte Männerkörper auf der Sonnenterrasse des Wannseebads, und eine Offstimme räsoniert: „Der immer stärker werdende Wunsch nach einem nackten männlichen Körper treibt sie aus der Familie heraus zu den Orten, wo sie Schwule treffen.“

Rosa von Praunheim ist bis heute ein radikaler Unterhaltungskünstler und ein radikaler Aktivist. Der Unterhaltungskünstler drehte grotesk zugespitzte Dramen wie „Die Bettwurst“. Der Aktivist setzte sich 1991 beim Fernsehsender RTL auf den „heißen Stuhl“ und outete Prominente wie Hape Kerkeling und Alfred Biolek. Vor kurzem rechtfertigte Praunheim sich in einer RBB-Talkshow. Damals habe Aids-Hysterie geherrscht, ein „Krieg“, Schwule hätten in die Offensive gehen müssen.

Heute freut er sich über die relative gesellschaftliche „Lockerheit“, aber es bleibt genug zu tun. In Osteuropa und Afrika werden Homosexuelle immer noch verfolgt. „Dort, wo Frauenfeindlichkeit ist, herrscht auch Schwulenfeindlichkeit“, weiß Praunheim.

Mit seinem Selbstbewusstsein, seiner Lautstärke kann er auch einschüchternd wirken. „Da saß ein komischer Typ mit rosa Basecap, der mich lauter perverse Sachen fragte.“ So erinnert sich Robert Thalheim in „Rosakinder“ an seine erste Begegnung mit dem Regisseur, der an den Filmhochschulen in Berlin und Potsdam unterrichtet hat. In Wirklichkeit ist Professor von Praunheim ein Menschenfreund, Freunde nennen ihn „Dalai Rosa“. Als die Regisseurin Julia von Heinz in einer Lebenskrise versank, hat er jeden Tag für sie ein Gedicht geschrieben und auf ihren Anrufbeantworter gesprochen.

Man spürt diese Zugewandtheit auch in den Filmen des RBB-Fernsehabends, etwa, wenn Praunheim seine Nachbarn Conny und Gerd porträtiert, zwei alte Schwule in einer neobarock überladenen Plüschwohnung, die sich rührend um einen behinderten Verwandten kümmern.

„Die Grunderfahrung, die ich vermitteln will, ist Energie“, predigt Rosa von Praunheim seinen Schülern. Was den Erfolg angeht, ist er skeptisch: „Ich glaube nicht, dass man etwas lernen kann. Man verwandelt sich im Leben durch das Leben.“ Seine Energie, das steht fest, dürfte noch für viele Filme reichen.

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