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Kultur: Rote Beete

Die Villa Grisebach feiert in ihrer Frühjahrsauktion die Expressionisten.

Wie ein böses Ungewitter zieht die Wolkenfront über die Marsch-Landschaft. Grollt über das winzig rote Haus und die nahe Windmühle. Vertreibt die letzten Sonnenflecken. Emil Nolde hat die „Landschaft (mit Regenwolke)“ 1925 in ein Naturereignis verwandelt, dessen überaus differenzierte Farbnuancen und machtvoll pastoser Duktus den Betrachter unmittelbar ins Bild ziehen.

Wie anders sah Karl Schmidt-Rottluff 1920 die pommersche Ostseeküste. Kräftig gesetzte Farben und holzschnittartige Flächen verleihen der „Landschaft mit Leuchtturm und Windmühle“ eine dramatische, aber ebenso heitere Wölbung. Alles schwingt in tänzelnder Bewegung und ist zugleich hoffnungsfroh im Erdreich verankert. Ein gelbes Sonnenband zwischen königsblauen Wolken unterstreicht die Dynamik. Scheint die Windmühlenflügel anzustoßen, hinter denen tiefblau die Luftschichten wirbeln.

Emil Nolde führt die Frühjahrsauktionen der Villa Grisebach mit einer Schätzung von einer bis 1,5 Millionen Euro an, Schmidt-Rottluff folgt mit 800 000 bis 1,2 Millionen Euro. Aber auch darüber hinaus präsentieren die ausgewählten Werke Höhepunkte des Expressionismus. „Mädchen mit grünem Schal“ hat Otto Mueller das hinreißende Aktbildnis schlicht betitelt. Vollendet im Jahr vor seinem Tod 1930, zeigt es Elfriede Timm – Muellers dritte Ehefrau. Lebensgroß und im extremen Hochformat. Der grüne Schal und das Rot von Brustwarzen und Schmollmund bilden dezente Farbtupfer zum vorherrschenden Grau der transparenten Hüllen. In einer Art Lebensklammer ist rückseitig der zwei Jahre zuvor entstandene „Stehende Mädchenakt“ mit Maschka Mueller, der ersten Ehefrau, die dem Künstler zeitlebens verbunden blieb (700 000 bis eine Millionen Euro).

Ein weiterer Brücke-Protagonist ist mit Ernst Ludwig Kirchner vertreten. Das traumartige „Lützowufer am Morgen“ – mit der eigenwilligen Abstraktion und dem pastellenen Farbklang, die Kirchners Spätwerk so unverwechselbar machen – ist für 500 000–700 000 Euro im Angebot. Nicht weniger herausragend: Christian Rohlfs flirrend zartes Genrebild „Haus in Soest“ oder der melancholische „Seminarist“ von Karl Hofer (Taxen je 200 000 bis 300 000 Euro). Zwischen einer Zeichnung von August Macke und einem Blumenstillleben Alexej von Jawlenskys mit Greta-Garbo-Provenienz reiht sich eine gotische Elfenbeintafel ein, im Entree steht ein Architektentisch von David Roentgen für 50 000 bis 70 000 Euro. Zur gleichen Taxe wartet die Orangerie in ihrer zweiten Ausgabe mit einer großen Renaissancebank auf. Um 1480/90 entstanden, wird sie der Florentiner Werkstatt da Maiano zugeschrieben und gelangte einst über Wilhelm von Bode nach Berlin. Flankiert wird das Prunkstück der Intarsienkunst von einem black painting, in dem Ad Reinhardt 1957 ein sich dem Blick immer wieder entziehendes Kreuz verborgen hat (250 000 bis 350 000 Euro).

Derart spannende Dialoge verleihen dem Haus in der Fasanenstraße, das nebst angrenzendem Kollwitz-Museum seit diesem Jahr Eigentum der Villa Grisebach ist, das Flair einer Kunstkammer auf Zeit. Das Wappen, das 1705 anlässlich der Trauerfeier für Königin Sophie Charlotte aus zwei Kilogramm Gold gestickt wurde (20 000 bis 25 000 Euro), findet sich nahe Max Liebermanns „Nutzgarten in Wannsee nach Westen“. Noch im Entstehungsjahr 1922 gelangte das im schönsten Rot der Beete glühende Gemälde in eine Hamburger Sammlung, aus der es marktfrisch für 500 000 bis 700 000 Euro zum Aufruf kommt.

In insgesamt acht Katalogen offeriert die Villa Grisebach fast 1300 Losnummern mit einer unteren Schätzung von über 17 Millionen Euro. Bestens aufgestellt ist auch die Kunst nach 1945. An der Spitze sollen Fernando Boteros „Circus Musicians“ (2008) mindestens 300 000 Euro bringen. Mit Thomas Struth, dessen „Paradise 6 (Daintree, Australia)“ mit 40 000 bis 60 000 Euro bewertet ist, rückt einmal mehr ein Fotograf in die Zeitgenossen-Auktion. Womit die höchste Erwartung der Abteilung Martin Munkácsi bei 20 000 Euro weckt. Das 19. Jahrhundert lockt unter anderem mit einem unbekannten Dresdner, der um 1820/30 „Zwei Männer im Gebirge“ in eine faszinierende Stimmung versetzt. Als mögliche Urheber werden Carl Gustav Carus oder Johan Christian Dahl genannt. Genaueres zu erforschen, obliegt dem künftigen Besitzer, der für 12 000 bis 15 000 Euro ein wahres Juwel der Romantik bekäme. Wenn es denn bei der Schätzung bleibt.

Villa Grisebach, Fasanenstr. 25, Vorbesichtigung: bis 27. 5., 10–18.30 Uhr, am 28. 5. 10–17 Uhr. Auktionen: 29. 5.–1. 6.

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